Stars der Antike
So wie Jugendliche heute Fußballstars verehren, waren die Kinder im antiken Rom von den Gladiatorenkämpfern begeistert. Auch in diesen Spielen um Leben und Tod gab es Helden, die beim Volk beliebt und populär waren.
Während die Kinder aus ärmeren Schichten die Kampfszenen aus der Arena mit Holzstöcken nachstellten, spielten die Söhne aus reicheren Familien schon damals mit filigran gearbeiteten Gladiatorenfiguren, Feldherren, berittenen Kriegern und Fußsoldaten aus Zinn.
Neben Zinn wurde zu ihrer Herstellung auch Wismut, Antimon oder Blei verwendet – allesamt Metalle, die einen geringen Schmelzpunkt haben und sich für den Formguss besonders eignen.
Bisher hat man nur wenige dieser antiken Zinnfiguren gefunden. Entweder waren sie zu der Zeit nicht sonderlich weit verbreitet oder sie haben die Jahrhunderte nicht überdauert.
Weit verbreitet ab dem 16. Jahrhundert
Die älteste Zinnfigur, die in Deutschland gefunden wurde, stammt aus dem frühen 13. Jahrhundert. Entdeckt wurde sie bei Magdeburg. Ein rares Einzelstück.
Eine größere Verbreitung erfuhren die Zinnmodelle ab dem 16. Jahrhundert. In Nürnberg, dem einstigen Zentrum der Zinnfigurenherstellung in Deutschland, kam es im Jahre 1578 sogar zu einem Streit zwischen den Zünften, der vom Rat geschlichtet werden musste.
War die Herstellung in großem Umfang bis dahin den Kannengießern vorbehalten gewesen, lockerte ein Ratsbeschluss diese Monopolstellung und erlaubte nun auch den Geschmeidemachern die unbegrenzte Herstellung von Kinderspielwerk aus Zinn.
Ein teures Vergnügen
Aufwändig bemalte und kunstvoll hergestellte Figuren waren an den europäischen Fürstenhäusern und Königshöfen überaus beliebt.
So ist überliefert, dass der französische König Ludwig XIII. liebend gerne mit seinen Zinnsoldaten spielte. Allerdings war der Monarch bei seinem Amtsantritt im Jahre 1610 auch gerade einmal neun Jahre alt. Auch sein Nachfolger, der "Sonnenkönig" König Ludwig XIV., fand großen Gefallen an den Miniaturmodellen.
Auf sein Geheiß hin wurden die Figuren von namhaften Bilderschnitzern gefertigt. Dementsprechend hoch waren die Kosten. In den Ausgabebüchern des Jahres 1650 – der junge Monarch war damals zwölf Jahre alt – findet sich ein Posten von 50.000 Ecus. Der Jahresverdienst eines Handwerksmeisters lag zu jener Zeit zwischen 200 und 600 Ecus.
Elf Jahre später, als der Sonnenkönig selbst Vater geworden war, beauftragte er einige bekannte Nürnberger Handwerksmeister mit der Anfertigung einer Spielzeugsoldaten-Armee für seinen Sohn. Die etwas über zehn Zentimeter hohen Figuren waren aus Silber gefertigt und verfügten über bewegliche Details. Ein teurer Spaß für das hoheitliche Kinderzimmer.
Zinnsoldaten als Vorbereitung auf echten Krieg
Neben den militärischen Zinnmotiven gab es auch zivile Figuren, wie Kaufleute, Bauern, Handwerker und Nutztiere. Aber es waren die Zinnsoldaten, in Form von Kavallerie, Infanterie und Artillerie, die zu den beliebtesten und meistverbreiteten Figuren in den Adels- und Bürgerhäusern wurden.
Mit dem Kriegsspielzeug bereiteten die Monarchen ihren männlichen Nachwuchs spielerisch auf spätere Aufgaben vor. Wenn Diplomatie und Verhandlungsgeschick versagten, wurden politische Streitigkeiten auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Da schadete es nichts, wenn man schon in den Kinderstuben mit den Manövern anfing.
Spielzeugsoldaten waren natürlich auch bei den Kindern ärmerer Schichten begehrt, doch mussten die sich mit Figuren aus Papiermasse begnügen.
Als sich im 18. Jahrhundert in der realen Welt mehr und mehr einheitliche Uniformen mit festen Farben für Waffengattungen und Landeszugehörigkeit durchsetzten, änderten sich auch die Zinnsoldaten. Durch individuelle Bemalung ließen sich nun mit einer Gussform Soldaten verschiedener Truppenzugehörigkeit fertigen, was sich positiv auf die Produktionsmengen auswirkte.
Aber nicht nur das: Es war auch die effektive Arbeitsteilung in den aufkommenden Manufakturen, durch die sich die beliebten Zinnfiguren in immer größerer Stückzahl herstellen ließen. Die Miniaturmodelle wurden nun für fast jedermann erschwinglich, was zu einem wahren Zinnfigurenboom im 19. Jahrhundert sorgte.
Die Zinnhochburgen Nürnberg und Fürth
Mit mehr als 60 Herstellern waren Nürnberg und Fürth die Zentren der Zinnfigurenherstellung in deutschen Landen. Die Figuren wurden nicht nur in viele andere deutsche Regionen und Städte verkauft, sondern auch ins europäische und internationale Ausland.
Die Hersteller boten in ihrem umfangreichen Repertoire teure und aufwändig gestaltete Figuren ebenso an wie preiswerte Massenartikel. Ende des 19. Jahrhunderts belief sich die Anzahl der in Nürnberg und Fürth hergestellten Figuren auf 40 Millionen.
Hatte man sich ab 1815 nach den napoleonischen Kriegen vermehrt friedlichen Themen bei der Herstellung von Zinnfiguren für Kinder gewidmet, lösten danach wieder neue Gefechte eine hohe Nachfrage nach militärischen Figuren aus: der Krimkrieg 1854, der deutsch-dänische Krieg 1864, der deutsch-österreichische Krieg 1866 und vor allem der deutsch-französische Krieg 1870/71.
Aber auch die deutsche Kolonialpolitik und der Traum von fernen, fremden Ländern wurden in Zinn gegossen und im Kinderzimmer mit entsprechenden Figuren aus Nürnberg nachgespielt. Wie sehr diese Stadt die Zinnwelt bestimmte, wird daran deutlich, dass man die gängige Zinnfigurengröße von 30 Millimetern als "Nürnberger Maß" bezeichnete.
Das Ende des Booms nach dem Ersten Weltkrieg
Die wichtigste Phase für Produktion und Verkauf der Zinnfiguren dauerte bis zum Ersten Weltkrieg. Von der Kriegseuphorie der ersten Monate getragen, verkauften sich Zinnsoldaten noch sehr gut. Doch mit den zunehmenden Schreckensmeldungen von der Front sank das Interesse an den Kämpfern aus Zinn als Kinderspielzeug.
Heute sind es Erwachsene, die Zinnfiguren sammeln und zum Teil sogar selbst gießen. Der Phantasie bei der Motivauswahl ist dabei keine Grenze gesetzt.
(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 20.06.2018)