Werkstoffe
Alabaster
Alabaster sieht aus wie Milchglas oder Marmor, ist aber eine besondere Art Gips. Ein italienischer Adliger entdeckte ihn um 1790 als Material für künstlerische Zwecke. Er gründete Werkstätten und machte die Werke von Alabaster-Künstlern europaweit berühmt.
Von Bärbel Heidenreich
Der außergewöhnliche Gips aus Volterra
Transparent, blass und durchscheinend: Alabaster sieht aus wie Milchglas, ist es aber nicht. Er sieht aus wie Stein, ist aber durchsichtig. Er ähnelt Marmor, lässt sich aber schnitzen wie Holz.
Gips ist eine Calciumverbindung und kommt rosettenartig verwachsen als so genannte Gipsrose oder Wüstenrose vor. Man findet ihn aber auch in Form von durchsichtigen Kristalltafeln, die als "Marienglas" bezeichnet werden. Besonders feinkörnig in farblos-transparenter, weißer, gelber, roter oder grauer Form ist er als Alabaster bekannt. In Volterra in der Toskana gibt es an die 50 verschiedene Alabastersorten.
In der Umgebung von Volterra, wo heute die Alabaster-Grube Cipolloni liegt, war früher ein See. Als die Meere im Laufe der Jahrmillionen verdunsteten und große Seen übrig blieben, waren diese sehr kalkhaltig. In weiteren Millionen Jahren verdunsteten auch die Seen. Lagerstätten aus Calciumsulfat blieben übrig, das waren Gips und Alabaster.
Alabaster wird daher nicht wie Marmor in Steinbrüchen geschnitten. Man findet ihn beim Aufschürfen der Erde in Form von Eiern ("ovuli") oder als so genannte Nieren ("arnioni"). Diese Alabaster-Eier sind manchmal zentnerschwer.
Sie liegen in unterschiedlicher Größe und Qualität in Tiefen von wenigen Metern bis zu 300 Metern. Die Funde der Sorte "Scaglione" wiegen zwischen 20 und 30 Kilogramm, die Funde der Sorte "Cinerino" können aber auch 150 Kilogramm wiegen. Die Gruben bei Volterra, die noch heute im Tagebau betrieben werden, bringen den wertvollsten Alabaster der Welt hervor.
Nirgendwo soll er so transparent sein und nirgendwo soll es so viel unterschiedliche Farbtöne geben wie in dieser Gegend. Daher bezeichnen die Einwohner des italienischen Städtchens Volterra ihren Ort als die "Hauptstadt des Alabasters". Wie in Italien kommt Alabaster auch in Griechenland, Portugal, Spanien und Mitteleuropa nur in geografisch abgegrenzten Gebieten vor.
Ansicht der Stadt Volterra
Der Ursprung des Wortes "Alabaster"
Zum einen vermutet man, dass der Ursprung des Wortes Alabaster aus dem Ägyptischen kommt. Da gibt es das Wort "ana(r)" und den Namen "bast(et)", was so viel heißt wie "Stein der Göttin Bastet". Die Göttin Bastet besaß nämlich angeblich Schminkgefäße aus Alabaster.
Manchmal heißt es auch, es käme von der ägyptischen Stadt Alabastron, der "Stadt der Alabastergefäße". Das war aber nur der griechische Name für diese ägyptische Stadt, in der Gefäße aus Alabaster hergestellt wurden.
Eine weitere Vermutung ist, dass das Wort vom griechischen "alabe" abgeleitet wird, das heißt "ohne Henkel". In Griechenland stellte man nämlich Gefäße ohne Henkel aus einem weichen, gipsähnlichen Material her und benannte möglicherweise später das Material nach der Machart, nämlich Alabastros oder Alabastos.
Pharaonenbüste aus Alabaster
Früheste Alabasterkunst
"Eine Haut wie Alabaster" galt seit alters her als Schönheitsideal. Was lag also näher, als Alabaster für die Körperpflege direkt zu verwenden? Schon etwa 2000 Jahre vor Christus besaßen die Ägypterinnen Cremes, Salben, Puder und Schminken, denen rosafarbener Alabasterstaub zugesetzt war. Auch die Gefäße für die Körperpflege und Schminke waren aus Alabaster.
Alabasterhaut im wahrsten Sinne des Wortes besaßen die Schönheiten, die in den vielen ägyptischen Kleinplastiken aus Alabaster verewigt wurden. Von besonderem Reiz sind aber auch die dünnwandigen Lampengefäße mit eingeschnittenen Reliefbildern. Beleuchtet man sie von innen, werden die Motive sichtbar. Auch die Sumerer und die Assyrer in Mesopotamien (einem Gebiet im heutigen Irak zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris) fertigten Plastiken und flache Reliefs aus Alabaster.
Urnen, Reliefe und Lampen: die Blütezeit
In Italien stellten im fünften und sechsten Jahrhundert vor Christus die Etrusker Urnengefäße aus Alabaster her ("Canopen"), und zwar in der heutigen Stadt Volterra. Die Grube, in der sie den Alabaster abbauten, ist heute noch zu besichtigen. Die kunstvoll gearbeiteten Canopen sind inzwischen im Museum von Volterra ausgestellt, dem "Museo Etrusco Guarnacci" und im "Museo Archeologico" von Florenz.
Am häufigsten aber verarbeitete man Alabaster in der griechischen und später in der römischen Antike zu Wandverkleidungen, Lampen und Gefäßen. Noch im siebten und achten Jahrhundert hatte Alabaster in Italien eine Blütezeit. Die daraus gefertigten Gegenstände waren von höchster Qualität. Doch in den nachfolgenden Jahrhunderten änderte sich das.
Alabaster lässt sich schnitzen wie Holz
Billiger Ersatzstoff – schlechte Marmorimitation
Nach einer langen Zeit ohne bemerkenswerte Zeugnisse über die Verwendung von Alabaster wurden im 16. Jahrhundert Fensterscheiben aus transparentem, geäderten Alabaster für Kirchenfenster geschnitten. Die handwerklichen Fähigkeiten dafür waren einfach. Eine künstlerische Gestaltung war nicht notwendig. Alabaster war zu dieser Zeit zudem viel billiger als Glas. Besonders die Herstellung von Flachglas war damals schwierig. Alabaster bot sich deshalb als billiger Ersatzstoff an.
Obwohl die Eigenschaften des Alabasters mit denen des harten, weißen Marmors nicht zu vergleichen sind, wurde Alabaster dennoch an ihm gemessen. Das ließ ihn minderwertig erscheinen. In Italien bot sich dieser Vergleich zudem auf Grund der Fundstellen an: In der Nähe von Carrara der reinweiße Marmor, im nicht weit entfernt gelegenen Volterra der Alabaster.
So wurde der Stein bald nur noch als schlechte Marmorimitation betrachtet und für billige Gegenstände des täglichen Gebrauchs verwendet. Wird Alabaster in siedendem Wasser erhitzt, geht die Transparenz verloren. Das machte man damals, um Marmor vorzutäuschen.
Eingefärbte Alabaster-Pyramiden als Souvenirs
In Italien wurde Alabaster schon damals gemahlen und wie Gips in Formen gegossen oder nur grob behandelt. Die Handwerker arbeiteten mit primitivem Werkzeug und ohne künstlerische Ausbildung. Frauen und Kinder stellten massenweise so genannte "Volterraner Perlen" her, die als Rosenkränze in Siena und Rom verkauft wurden.
Vasen, Urnen, Tabernakel, Leuchter, Schreibaufsätze, Kruzifixe und Statuen hatten zu wenig Qualität, um einen anspruchsvollen Geschmack zufriedenzustellen. So wurde die Produktion in der Renaissance niedergelegt.
Einen Ausweg aus dieser Misere fand ein Mann, der die unvergleichliche Schönheit des Alabasters erkannte und die körpernahen Eigenschaften wiederentdeckte – die Zartheit, Zerbrechlichkeit, Transparenz und Weichheit. Es war der italienische Adlige Cavalliere Marcello Inghirami-Fei. Er machte um 1800 Alabaster wieder salonfähig und erreichte den wirtschaftlichen Aufschwung.
Das Auf und Ab des Alabasters
Inghirami-Fei wollte der Alabasterkunst wieder zu der Qualität verhelfen, die sie seit Jahrhunderten verloren hatte. Um 1790 engagierte er Künstler aus Frankreich und Italien, um die Handwerker der Alabasterstadt Volterra in der Toskana bestmöglich auszubilden. Sein Plan ging auf.
Schon bald verkaufte er Produkte höchster Güte in eigenen Läden in Florenz, Venedig, Rom und über die toskanische Hafenstadt Livorno in alle Welt. Der Erfolg des Alabasters war bis zum 19. Jahrhundert auf die so genannten "viaggiatori" zurückzuführen. Es waren Kaufleute, die im Ausland die Alabasterprodukte verkauften, damals eng verknüpft mit der Kolonialpolitik.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verloren die Produkte aus Alabaster wieder einmal an Qualität und waren geschmacklich überholt. Das änderte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg mit der Stilrichtung des Art Déco. Das Luxusbedürfnis wurde in großen Bevölkerungskreisen wiederentdeckt. Alabaster erschien rar und exotisch. Er sollte zum Gegenstand dekadenter Kostbarkeiten werden, aber die traditionellen Handwerksbetriebe zogen nicht mit.
Es fehlte an Innovation. In den 1930er-Jahren kam es endlich zum lang ersehnten Aufschwung. Doch dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Danach besetzten die US-Truppen Italien. Das Geschäft boomte erneut. Tonnenweise wurde Alabaster an die Besatzer verkauft und nach Amerika verschifft. Das Geschäft mit billiger Souvenirware hatte bald Hochkonjunktur.
Ägyptisches Salbengefäß aus dem 14. Jahrhundert vor Christus
Volterraner Alabaster heute
In den 1980ern kam es allerdings zusammen mit allgemeinen konjunkturellen Schwierigkeiten fast wieder zum Zusammenbruch der Alabasterwirtschaft. Mehrere Gruben wurden geschlossen. Die Anzahl der Beschäftigten in der Branche sank von 2000 auf 300, weil auch die Nachfrage nach Alabaster zurückging.
Kommunalpolitik und Wirtschaft suchten einen Weg aus der Krise mit der Gründung der "Euralabastri" im Jahre 1993. Zu den 32 Mitgliedern der Gesellschaft gehörten neben den Alabasterbetrieben auch die Stadt Volterra, drei Gemeinden aus der Umgebung und die Handelskammer von Pisa. Ziel der Gesellschaft war es, die Erforschung und Beschaffung des Rohmaterials zu sichern, die Produktion und das Handwerk zu schützen und den Verkauf und Vertrieb zu unterstützen.
Um das Image aufzuwerten, wurde ein Gütesiegel für Alabaster aus Volterra eingeführt. Außerdem gründete man das so genannte "Ecomuseo" gegründet, ein Museum, das aus mehreren Standplätzen besteht, wie zum Beispiel aus einem unterirdischen Steinbruch in Cacina, einem kleinen Bergwerksmuseum. Eine Kooperative von 25 bis 30 Kunsthandwerkern hatte schon bald einen großen Laden in der Stadt. Wettbewerbe um die besten Ideen wurden veranstaltet.
Auch an der weltweit einzigen Kunstschule für Alabasterkunst werden in Volterra wieder junge Künstler ausgebildet, die Qualität zu schätzen wissen und mit ihr umzugehen lernen. Viele Volterraner Künstler entwickelten ihren eigenen Stil, wie Mino Trafeli, Aulo Grandoli und Daniele Boltrini.
Doch daneben blüht auch der Handel mit Souvenirs, für die der Alabaster aus Sicht der Künstler verschandelt wird: lackiert, gefärbt und mit Folie überzogen. Alabaster "Made in Japan" nennen die Volterraner die bedenkenlose Materialbehandlung. Man benutzt die Qualität "Rosina", eine Mischung aus Alabasterstaub und Kunstharz. Sie wird in Formen gegossen und für Massenproduktionen verwendet, zum Beispiel für unzählige Musikerbüsten. "Rosina" wird auch mit Metall überzogen und täuscht so Bronze vor.
Alabaster-Statuen sind bis heute gefragt
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 07.01.2020)
Quelle: WDR