Dunkle Sonne, helles Köpfchen
Tycho Brahe stammt aus einer reichen dänischen Adelsfamilie und entdeckt schon früh sein Interesse für die Astronomie. Der Grund ist ein einschneidendes Erlebnis als Jugendlicher, das seinen weiteren Lebensweg bestimmt: Über Nordeuropa ereignet sich am 21. August 1560 eine totale Sonnenfinsternis.
Die Tatsache, dass dieses seltene Ereignis von den Astronomen vorhergesagt wurde, lässt den damals 14-Jährigen nicht mehr los. Er kauft sich seine ersten astronomischen Bücher – zum Beispiel den "Almagest" von Ptolemäus, dem damals verbindlichen Handbuch zu allen Fragen der Astronomie – und konstruiert mit Hilfe seiner Lehrer seinen ersten Himmelsglobus, auf dem er die Positionen der Sterne festhält.
Bei einer Sonnenfinsternis verdeckt der Mond für kurze Zeit vollständig die Sonne
Wissenschaftler und Hitzkopf
1562 geht Brahe an die Universität Leipzig, wo er ein Jahr später ein weiteres seltenes Himmelsereignis beobachtet: Jupiter und Saturn stehen von der Erde aus gesehen in einer Reihe hintereinander, so dass sie zu einem einzigen hellen Planeten verschmelzen.
Und Tycho Brahe macht eine weitere Entdeckung: Alle vorhandenen Tafeln, welche die Positionen der Sterne und Planeten voraussagen, sind ungenau. Selbst die Tabellen von Nikolaus Kopernikus verfehlen das Ereignis um etliche Tage. Tycho Brahe beschließt, sein Leben der Himmelsbeobachtung zu widmen, um genaue Daten zu erlangen.
Kopernikus (1473-1543) war ein berühmter Astronom
Jahrzehnte später, als er für den dänischen König Frederick II. arbeitet, beaufsichtigt er ein gigantisches Sternenkunde-Programm: Mit einem Heer von Assistenten und selbst entwickelten Geräten beobachtet er mehr als 20 Jahre lang den Sternenhimmel.
Die von ihm gesammelten Messwerte zum Planetensystem und den exakten Positionen von rund 800 Fixsternen übertreffen bis zum Einsatz der ersten leistungsstarken Teleskope im 17. Jahrhundert alle anderen Angaben an Genauigkeit.
Astrologen beobachten einen Kometen
Von Leipzig aus bereist Tycho Brahe weite Teile von Europa. Er studiert in Wittenberg, Rostock, Basel und Augsburg. Überall informiert er sich über die neuesten Entwicklungen und erwirbt mathematische und astronomische Instrumente.
Inzwischen gilt er als eifriger Zecher und aufbrausender Hitzkopf: In Rostock wird ihm bei einem Duell ein Großteil seiner Nase abgeschlagen. Er lässt sich einen Ersatz aus Metall anfertigen, den er mit Wachs befestigt. 1571 kehrt er nach Dänemark zurück und baut dort ein kleines Observatorium.
Die Supernova und das Prinzip der Parallaxe
In Dänemark hat Tycho Brahe ein weiteres umwälzendes Erlebnis: Am 11. November 1572 sieht er plötzlich einen neuen Stern im Sternbild der Cassiopeia, der heller strahlt als die Venus und an einer Stelle erscheint, an der bislang noch nie ein Stern gesehen wurde.
Heute wissen wir: Tycho Brahe sah eine Supernova, einen explodierenden Stern, der für einige Wochen tausendmal heller strahlt als zuvor, um dann in sich zusammen zu fallen. Ein neuer Stern am unveränderlichen Firmament – das versetzt der aristotelischen Weltordnung einen heftigen Stoß.
Supernova – Ein Stern explodiert
Endgültig ins Wanken kommt sie, als Tycho Brahe über einen längeren Zeitraum den Kometen von 1577 beobachtet und sich darüber mit seinen Kollegen austauscht.
Beobachtet man einen Kometen über längere Zeit, so wandert er nach und nach durch verschiedene Sternbilder. Für den Zeitraum weniger Tage scheint er aber fest in einem Sternbild verhaftet zu sein und geht mit diesem auf und unter.
Folgt man der aristotelischen Ansicht, dass Kometen erdnahe Wettererscheinungen sind, so muss ein und derselbe Komet von verschiedenen Punkten der Erde aus vor verschiedenen Sternbilder zu sehen sein. Erscheint er aber von verschiedenen Punkten aus vor dem gleichen Sternenhintergrund, so muss er sehr viel weiter von der Erde entfernt sein als Wolken oder der Mond.
Dieses Phänomen nennt man "Parallaxe" (griechisch: "Vertauschung"). Es lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man einen Finger vor das Gesicht hält und einmal mit dem linken und dann dem rechten Auge auf ihn schaut. Ist der Finger sehr nah, erscheint er vor wechselndem Hintergrund. Auf Armlänge ausgestreckt, ist der Hintergrund nahezu gleich.
Tycho Brahe überträgt dieses Prinzip auf den Kometen, und vergleicht seine Daten mit denen von Kollegen in weit entfernten Sternwarten.
Zentrum der europäischen Astronomie
Seinen Bericht über die Supernova veröffentlicht Tycho Brahe schon 1573 unter dem Titel "De nova stella". Mit der Entdeckung, dass die Kometen zur Sphäre des Himmels und der Planeten gehören, wandelt sich sein Ruf endgültig von dem eines dänischen Dilettanten zu dem eines Astronomen mit europaweiter Reputation.
Seine Pläne, in Deutschland ein neues Observatorium zu errichten, veranlassen König Frederick II. von Dänemark, ihm 1576 die Insel Hven zu überlassen und ihn großzügig für den Bau eines Observatoriums auszustatten.
Tycho Brahe, ebenso Künstler und Handwerker wie Wissenschaftler, errichtet auf Hven die Sternwarte "Uraniborg" ("Himmelsburg") und lässt sie von italienischen und holländischen Künstlern und Handwerkern ausstatten. In einer eigenen Druckerei werden seine Schriften hergestellt. Spezialisten aus Augsburg bauen für ihn die besten astronomischen Instrumente.
Umgeben von Dutzenden Assistenten und Besuchern aus ganz Europa macht Tycho Brahe "Uraniborg" zum Zentrum astronomischer Studien in Nordeuropa.
Brahes Sternwarte "Uraniborg"
Sind schon seine legendären Trinkgelage oft genug Anlass für öffentlichen Ärger, so fügt Tycho Brahe 1573 mit der Heirat von Kirstine seinem Bild als unkonventioneller Lebemann eine weitere Facette zu. Als Sohn eines Adligen, versehen mit einem königlichen Lehen, eine Bauerntochter zu heiraten, bringt ihn vollends in Verruf. In seiner umfangreichen Korrespondenz erwähnt Tycho Brahe seine Frau, mit der er acht Kinder hat, jedoch sehr selten.
Die letzten Jahre in Prag
1588 stirbt Frederick II. und unter seinem Sohn Christian IV. schwindet Brahes Einfluss schnell. Seine Einkünfte werden gekürzt, auch deshalb, weil er immer größere Forderungen stellt, aber gleichzeitig seine Pflichten als Lehensnehmer vernachlässigt.
1599 folgt Tycho Brahe einem Ruf von Kaiser Rudolf II. nach Prag, der ihm eine Pension und einen Grundbesitz anbietet, auf dem eine neue Sternwarte gebaut werden soll. Die Fertigstellung erlebt er nicht mehr – er stirbt 1601.
Seine Beobachtungsdaten und seine astronomischen Geräte vererbt er seinem Schüler und Assistenten Johannes Kepler (1571 bis 1630), der mit seinen drei Gesetzen der planetarischen Bewegung die Grundlage für Sir Isaac Newtons Gravitationslehre legt und das heliozentrische Modell von Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) bestätigt.
Brahes Planetensystem
Tycho Brahe hat die herkömmliche Lehre von der Unveränderlichkeit des Himmels erschüttert. Den radikalen Wechsel vom erdzentrierten Weltbild des Ptolemäus, das die Erde als Mittelpunkt unseres Planetensystems versteht, hin zum sonnenzentrierten Weltsystem des Nikolaus Kopernikus machte er aber nicht.
Möglicherweise erschienen ihm die Berechnungen und Thesen von Kopernikus nicht stichhaltig genug. Oder er fürchtete sich, die althergebrachte Himmelsordnung, welche als Abbild der irdischen und menschlichen Hierarchien verstanden wurde, in Frage zu stellen.
Sein Zeitgenosse, der Mathematiker, Physiker und Philosoph Galileo Galilei beispielsweise musste sich deshalb 1616 und 1633 vor der Inquisition verantworten und wurde gezwungen, der "falschen" Lehre des Kopernikus abzuschwören.
Tycho Brahe suchte einen Kompromiss, den er in seinem Werk "De Mundi Atherei" darlegte. In seinem Planetenmodell, das auch den Kometen von 1577 mit einbezieht, umkreisen die Planeten die Sonne, die wiederum mit dem Mond die Erde umkreist.
Auf der Basis von Brahes präzisen Messungen der Planetenumläufe und seiner Marsbeobachtungen schuf Johannes Kepler seine Arbeit über die Planetenbahnen.
Brahes Modell des Planetensystems mit einem Kometen
(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 10.12.2019)
Quelle: WDR