Von roten Beinen und Froschschenkeln
Der Weißstorch ist in Europa besonders bekannt und hat sich vor allem als Klapperstorch einen Namen gemacht. Außerdem soll er dem Volksglauben nach in einem Tuch die Babys überbringen.
Die europäischen Weißstörche lieben es nass. Sie bevorzugen feuchte Lebensräume, in denen sie ihre Nahrung finden. Mit ihren roten Stelzbeinen staksen die Schreitvögel durch Sümpfe, Auen und Wiesen. Blitzschnell packen sie ihre Opfer mit dem spitzen roten Schnabel.
Sehr wählerisch ist der knapp einen Meter große Vogel dabei nicht. Er frisst Frösche, Insekten, Eidechsen, Mäuse und Fische. Schließlich brauchen die Storchenjungen täglich mehr als ein Kilogramm Fleisch. Ihre beeindruckenden Nester, die "Horste" genannt werden, bauen die Weißstörche auf Häuserdächern, Kirchtürmen, Fabrikschornsteinen oder Hochspannungsmasten.
Störche sind so genannte Kulturfolger: Erst die Rodung der Wälder durch den Menschen machte den Baumbrüter zum Mitbewohner des Menschen. Manchmal sieht man Störche auch auf den Feldern, wie sie hinter den Traktoren laufen. Sie ernten, was von den landwirtschaftlichen Maschinen aufgescheucht wird.
Im Herbst, wenn die Tage kürzer und kälter werden, finden die Störche nicht mehr genug zu fressen. Dann machen sie sich auf die weite Reise nach Afrika: Weißstörche sind Zugvögel. Im Mittelalter dachte man, sie würden den Winter im Wasser verschlafen. Erst im 19. Jahrhundert fand man in Deutschland heraus, dass sie nach Afrika ziehen. Heute sind ihre Flugrouten genau erforscht und bekannt.
In ihrem Metier – Störche auf der Suche nach Nahrung
Segler im Aufwind
Störche haben lange, breite Flügel, die sie zu exzellenten Segelfliegern machen. Von einer Flügelspitze bis zur anderen messen Weißstörche knapp zwei Meter.
Besonders raffiniert gebaut sind ihre langen Schwungfedern: eine optimale Tragfläche, fest und elastisch zugleich. Das Flugbild des Storchs ist gut am ausgestreckten Hals, den weit ausgebreiteten Flügeln und den langen Beinen zu erkennen.
Meister des ausdauernden Flügelschlags sind sie allerdings nicht. Um weitere Strecken zurückzulegen, sind sie stark von den entsprechenden Luftströmungen abhängig. Sie nutzen die warmen Aufwinde, mit deren Hilfe sie nach oben steigen und dann in die gewünschte Richtung segeln. Diese Flugweise ist sehr energiesparend.
Die maximale Höhe liegt bei 4500 Metern. Störche fliegen bis zu 500 Kilometer täglich, bei einem Durchschnittstempo von 50 Kilometern in der Stunde. Sie können durchaus Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 100 Kilometern pro Stunde erreichen.
Optimale Tragfläche
Im Segelflug nach Afrika
Bei der Reise zu ihrem Winterdomizil in Afrika nehmen die europäischen Weißstörche zwei verschiedene Wege. Auf ihrem Weg meiden sie den Flug über das offene Mittelmeer. Dort gibt es kaum Aufwinde für die Segelflieger, eine Überquerung im Ruderflug wäre zu kräfteraubend.
Ein Teil der Störche fliegt deswegen über die Meerenge von Gibraltar im Westen, der andere Teil über die Meerenge des Bosporus im Osten des Mittelmeeres.
Je nach Route werden die Störche in Ost- und Westzieher unterschieden. Die Westzieher fliegen über Frankreich, Spanien und Gibraltar nach Nordafrika. Von dort geht es weiter in die westafrikanischen Savannen zwischen dem Senegal und Kamerun.
Die Ostzieher fliegen über den Bosporus nach Kleinasien. Von dort folgen sie der Mittelmeerküste und dem Lauf des Nils bis ins östliche und südöstliche Afrika. Die Mehrzahl der Weißstörche gehört zu den Ostziehern. Da sich die für den Segelflug wichtigen Aufwinde nur in der Hitze des Tages bilden, rasten die Vögel nachts.
Auf dem Weg nach Süden
Storchenforschung
Um sie im Frühling nach ihrer Rückkehr wieder zu erkennen, kennzeichnete man die Störche bereits im 17. Jahrhundert mit farbigen Bändern oder Glöckchen.
Heute gibt es kaum eine Vogelart, deren Zugverhalten so gut untersucht ist wie das der Weißstörche. Vor allem die Beringung der Vögel liefert wertvolle Informationen, etwa über Wanderwege, Paartreue oder Todesursachen.
Inzwischen nutzen Wissenschaftler auch die Satelliten-Telemetrie. Kleine Sender, nicht mehr als 50 Gramm schwer, werden auf dem Rücken der Störche angebracht. Während der Wanderung nach Afrika zeigen sie den Forschern kontinuierlich an, wo sich das Tier gerade befindet.
Die Beringung ist kostengünstig und liefert wertvolle Informationen
Schwarze Zukunft für den weißen Storch?
Früher war "Gevatter Storch" nicht nur als Kinder- und Glücksbote beliebt, sondern auch als natürlicher Kammerjäger gern gesehen. Es wurden sogar Nisthilfen in Form von Wagenrädern oder Körben auf den Dächern angebracht.
Dem Storch brachte die Nähe zum Menschen allerdings weniger Glück. Die Trockenlegung und Zerstörung von Feuchtgebieten und Flussauen hat seine Nahrungsquellen stark verringert.
Auch die Verdrahtung der Landschaft schadet ihm: Stromleitungen werden häufig zur Todesfalle für den großen Vogel. Zusätzlich macht ihm die Belastung der Umwelt mit Pestiziden und Insektiziden das Überleben schwer.
Durch verstärkte Schutzmaßnahmen haben sich die Bestandszahlen der Weißstörche in Deutschland in den vergangenen Jahren leicht erholt. Viele Störche stammen heute allerdings aus Wiederansiedlungsstationen, in denen die großen Vögel gezüchtet und später ausgesetzt werden.
Nicht alle Naturschützer befürworten diese Strategie. Ökologen bezweifeln, ob sich an der Lage des Storches auf lange Sicht etwas verbessern lässt, solange weiterhin intensive Landwirtschaft betrieben wird. Für den Storch müssten Lebensräume neu geschaffen werden, in denen er ungestört brüten und jagen kann. Ihrer Meinung nach wird sich der Bestand nur so langfristig erholen können.
Gefährlicher Nistplatz
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 24.03.2020)
Quelle: SWR / WDR