Zwei hechelnde Möpse.

Tierzucht

Qualzuchten bei Hunden

Viele Haustier-Rassen werden zunehmend extremer gezüchtet. Hunde sind sicher von Qualzuchten am meisten betroffen. Die genetischen Schäden solcher Qualzuchten nimmt der Mensch oft in Kauf. Hauptsache, der Hund fällt auf.

Von Cora Richter

Wie Hunde unter der Qualzucht leiden

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Hunde zu bestimmten Zwecken gehalten, etwa zur Jagd, als Hüte- oder Schlittenhunde oder um verschüttete Lawinenopfer aufzuspüren. Vor 170 Jahren wurden Hunde dann erstmals allein auf ein extravagantes Aussehen oder Schönheit hin gezüchtet. Der Hund hatte plötzlich keine Arbeitsfunktion mehr, er wurde etwa als Statussymbol gehalten oder um uns Menschen Gesellschaft zu leisten.

Nach Jahrzehnten der Zucht ist von der langen Wolfsschnauze bei Bulldogge und Mops nur eine winzige Stupsnase übrig geblieben. Sie soll süß und kindlich aussehen! Aber diese Hunde können nicht schwitzen, denn sie müssen den Körper über die Nase kühlen. Ist die Nase zu kurz, überhitzen sie schnell und leiden an ständiger Atemnot – eine Qual.

Außerdem ist das Gewebe, das beim Wolf auf eine lange Schnauze verteilt war, beim Mops und bei der Französischen Bulldogge auf engem Raum zusammengequetscht. Weil kaum Platz ist, strömt die Luft nicht durch die Atemwege, der Hund muss sie mit Kraft hindurchpressen.

Links: Wolfsschnauze Rechts: Züchtung mit brachyzephalem Syndrom

Wolfsschnauze (links) und Züchtung mit brachyzephalem Syndrom (rechts) im Vergleich

Kurzköpfige Hunderassen wie Mops, Französische Bulldogge und Englische Bulldogge leiden durch ihre rassebedingten Zuchtziele , sprich Kurznasen und süße Glubschaugen, häufig an ernsten gesundheitlichen Problemen – dem Brachyzephalen Atemwegssyndrom.

Dabei handelt es sich bei den einzelnen Komponenten um Missbildungen, welche je nach Ausprägung mehr oder weniger stark vorhanden sein können: zu kleine Nasenlöcher, veränderte Nasenmuscheln, langes Gaumensegel, zu kleiner Kehlkopf und zu schmale Luftröhre und Kehlkopfkollaps. Für die Bundestierärztekammer sind daher Möpse und "Bullys" Qualzuchten.

"Ihr Hund hat Mops!"

Die brachyzephalen Rassen leiden unter schweren gesundheitlichen Problemen: extremen Atemstörungen, Wärme- und Hitzeempfindlichkeit, Erstickungsanfälle, Kollaps, Herzattacken und Augenschäden.

Besonders aussagekräftig und bedenklich sind Luftnot-Anzeichen, sprich laute Atemgeräusche wie Röcheln, Schnarchen und wenn der Hund bei jeder Bewegung stark hechelt. Grund ist ein zu langes Gaumensegel, welches den Kehlkopf teils verschließt. Jeder vierte extrem gezüchtete "Kurznasenhund" schläft im Sitzen, weil er befürchtet, sonst im Schlaf zu ersticken.

Mops und Co – wie Hunde unter der Qualzucht leiden

Planet Wissen 10.03.2023 05:06 Min. UT Verfügbar bis 26.03.2026 SWR

Bei Boston Terriern, Englischen und Französischen Bulldoggen sprechen Züchter davon, dass bis zu 90 Prozent der Welpen per Kaiserschnitt zur Welt kommen. Ursache dafür ist der im Verhältnis zur Körpergröße extrem große Kopf der Tiere.

Diese Zuchtformen sind so beliebt, weil die Hunde auf ein menschenähnliches Aussehen à la Kindchenschema gezüchtet werden. Paradebeispiel ist hier der Mops. So lautet leider immer häufiger die Diagnose beim Tierarzt: "Ihr Hund hat Mops, der kriegt keine Luft mehr!".

Oft müssen die Hunde mit teurer Korrekturchirurgie operiert werden, damit sie überhaupt noch Luft bekommen. In einer OP wird dann die Haut im Rachenraum entfernt, das Gaumensegel gekürzt und die Nasenlöcher erweitert – Kostenfaktor bis 3500 €! Viele Besitzer verstehen nicht, dass ihr Tier schon lange krank ist.

Prof. Achim Gruber, Veterinärmediziner und Tierpathologe des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin, vermeidet den üblichen Begriff "Qualzucht", weil "quälen" eine Absicht beinhaltet, die er nicht unterstellt. Er benutzt dafür den Begriff "Defektzuchten."

Tierschutzgesetz § 11b

Laut Tierschutzgesetz § 11b wäre die Zucht vieler Rassen bei uns verboten. Gezüchtet werden die Tiere trotzdem. Warum? Das Tierschutzgesetz ist eigentlich gut formuliert, nur wird es leider nicht umgesetzt, ebenso wenig das "Staatsziel Tierschutz", davon ist Prof. Dr. Achim Gruber überzeugt. Denn der Tierschutz ist seit 2002 in unserer Verfassung im Grundgesetz als Staatsziel verankert.

Tierschutzgesetz § 11b : "Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten [...] deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen [...] und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.

Das Problem liegt bei der Umsetzung des Tierschutzgesetzes. Die Kontrolle der Einhaltung liegt in der Verantwortung der Veterinärämter, die dazu meist viel zu wenig Zeit und Möglichkeiten haben. Außerdem fehlt es den Veterinärämtern an einer grundlegenden Handhabe. Denn im Moment können Ämter und Gerichte immer nur Einzelfallentscheidungen treffen, nicht aber bestimmte Zuchtlinien generell ausschließen.

Um das zu ändern, müsste das Qualzuchtgutachten von 1999 dringend überarbeitet werden. Zuständig dafür ist das  Bundesministerium für Landwirtschaft. Bislang sei das Gesetz eine reine Auslegungssache, eine Prozessvorbereitung sehr zeit- und arbeitsintensiv und die Personaldecke in den Veterinärämtern viel zu dünn, beklagt Diana Plange, Fachtierärztin für Tierschutz und Tierschutzethik.

Hundekäufer, Zuchtverbände und Züchter müssen handeln

Und die Züchterwelt ist sehr gespalten. Einige gehen sehr verantwortungsvoll mit den Tieren um, andere Züchter legen leider mehr Wert auf Eigeninteresse als auf die Gesundheit ihrer Tiere. Manche Züchter sind zu verliebt in ihre Rassestandards und Traditionen. Doch Liebe macht oft blind! Dabei können gerade die Zuchtverbände etwas ändern, denn sie geben die Richtlinien vor.

Gast Achim Gruber mit Weißer Katze auf einem Cover.

Professor Dr. Achim Gruber ist überzeugt, dass ein großer Ruck durch die Züchter und großen Zuchtverbände gehen muss, um diese defekt gezüchteten Tiere wieder gesund zu züchten. So werden manche Rassen wieder zurückgezüchtet, zum Beispiel der Mops (Retromops und Sportmops) mit längerer Nase, aber das dauert Jahre.

Die Tierärzteschaft rät dringend davon ab, solche kurznasigen (brachyzephalen) Hunderassen wie Mops und Bulldogge überhaupt noch zu kaufen, bis wieder mehr gesunde Tiere gezüchtet werden. Denn nur wenn solche Hunde gekauft werden, also Nachfrage besteht, werden sie auch gezüchtet. Daher setzt Gruber auf eine breite öffentliche Aufklärung und ein Umdenken – den Tieren zuliebe!

Der Hund braucht eine Nase!

Die niederländische Regierung hat ihre Qualzucht-Regeln verschärft. In Holland sind seit Sommer 2019 die Zuchten aller 22 Hunderassen verboten, bei denen die Nase weniger als ein Drittel der gesamten Schädellänge/Kopflänge ausmacht. Eine konsequente und sinnvolle Maßnahme und beispielhaft für Deutschland und weitere Länder.

Auch verschiedene Rassekatzen sind von Qualzuchten betroffen. So leiden auch Perserkatzen unter der Kurzköpfigkeit.

Katze, die mürrisch aussieht – Gendefekt verursacht markanten Unterbiss dieser "Grumpy Cat"

Extrem kurznasig gezüchtete Katze der Rasse "Exotisch Kurzhaar"

Weißtiger – bedauernswerte Kreaturen

Aber nicht allen krank gezüchteten Tieren hört oder sieht man ihr Leid gleich an. In mancher schönen Hülle steckt ein trauriges und vermeidbares Schicksal. Die strahlend blauen Augen und das gescheckte Fell machen die sogenannten "Merle-Schecken" zu beliebten Hunden.

Was die wenigsten wissen: Ihre außergewöhnliche, gescheckte Fellzeichnung und die hellen Augen beruhen auf einem Gendefekt, der eine große Bandbreite an Krankheiten mit sich bringt. Ursprünglich waren die heute populären "Merle-Schecken" bei Collies verbreitet, besonders oft auch beim Australian Shepherd und bei Border Collies.

Portraitaufnahme eines Merle-Hundes.

Ein Viertel der Nachkommen sind schwer geschädigte "Weißtiger"

Mittlerweile ist der Merle-Gendefekt in viele Hunderassen eingezüchtet, zum Beispiel bei Merle-Doggen, Merle-Möpsen und Merle-Dackeln – weil er angeblich so schön ist. Neben der beliebten, auffälligen gescheckten Farbaufhellung mit teils auffallend hellblauen Augen kann dieser Gendefekt aber auch zu schweren Beeinträchtigungen von Sinnesleistungen führen.

So haben die mischerbigen Merle-Schecken bereits von Geburt an ein deutlich erhöhtes Risiko, an Taubheit zu leiden.

Ebenso kann ein erheblicher Anteil dieser Hunde aufgrund der erheblichen Innenohrstörungen nicht richtig schwimmen und erträgt kaum Autofahrten. Denn der Gendefekt, der die schöne Farbe auslöst, verursacht leider auch eine Störung im Innenohr.

Das gilt auch schon für die wunschartigen mischerbigen Merle-Hunde, die man inzwischen häufiger sieht. Schon im Qualzucht-Gutachten von 1999 wurde grundsätzlich davon abgeraten, mit Merle-Hunden zu züchten.

Fünf bis sieben Prozent dieser Hunde sind taub und haben erhebliche Sinnesstörungen, deshalb entsprechen schon die mischerbigen Merle-Schecken eigentlich per Definition der Qualzucht und dem Qualzucht-Paragraphen. Daher würde der Tiermediziner und Tierpathologe Professor Achim Gruber diese "bunten" Hunde am liebsten gar nicht mehr sehen.

Merle-Hunde – Schönheit mit Gendefekt

Planet Wissen 10.03.2023 03:02 Min. UT Verfügbar bis 26.03.2026 SWR

Wenn man zwei (mischerbige/heterozygote) Wunsch-Merle-Schecken miteinander verpaart, dann wird es besonders schlimm. Denn bei der Verpaarung von zwei Merle-Schecken entsteht laut Mendel‘schen Regeln mit statistischer Wahrscheinlichkeit in etwa 25 Prozent der Fälle ein schwer missgebildeter sogenannter "Weißtiger".

Diese Weißtiger (homozygote Träger der Merle-Mutation) sind besonders anfällig für Taubheit, für Augenmissbildungen (zum Beispiel Blindheit) und viele andere schweren Defekte, die wirklich als ganz schwere Qualzuchten gelten. Einige Tiere überleben nicht einmal ihre Welpenzeit.

Diese Vermehrung verstößt gegen das Tierschutzgesetz, das jede Zucht verbietet, bei der die Entstehung von sogenannten Qualzuchten in Kauf genommen wird. Deshalb darf man niemals zwei Merle-Hunde miteinander verpaaren.

Extremzucht auf Größe oder Mini-Rassen

Besorgniserregend ist laut Professor Dr. Achim Gruber auch, dass wir manche Rassen immer größer und schwerer züchten. Dies geht mit Risiken für bestimmte Krankheiten einher. So haben große Hunde wie Doggen, Irische Wolfshunde, Windhunde, aber auch Standardhunde wie Deutscher Schäferhund oder Golden Retriever Gelenkprobleme und ein deutlich erhöhtes Risiko für Knochenkrebs mit metastasierenden Lungentumoren.

Auch von extrem klein gezüchteten Hunden, die in die Handtasche passen, wird abgeraten: Diese "Mini-Rassen" haben ein erhöhtes Risiko für Kniescheibenverlagerungen oder auch tödliche Stoffwechselstörungen.

Trend "Designerhunde"

Zunehmend beliebt sind auch sogenannte Designerrassen oder Hybridrassen wie Labradoodle, Puggle und Golden Doodle.

Bei solchen Hybridrassen werden zwei Elterntiere aus verschiedenen "reinen" Rassen miteinander verpaart, um besonders wertvolle Eigenschaften zu verbinden und gleichzeitig die Nachteile der Reinrassigkeit zu umgehen. Heute sind mehr als 1300 solcher Kombinationen bekannt.

Labradoodle = Kreuzung aus Labrador und Pudel.

Ein Labradoodle ist eine Kreuzung aus Labrador und Pudel

Designerhunde sind in der ersten Generation viel gesünder, dann aber geht dieser positive Effekt wieder verloren. Ab der zweiten oder dritten Generation der Designerhunde spricht man nur noch von Mischlingen und die Nachkommen können wie die ursprüngliche Rasse aussehen.

Wenn man dann zum Beispiel zwei Labradoodle miteinander verpaart, um die gewünschten Merkmale zu erhalten, dann wird es "bunt und schmutzig", denn dann entstehen durch Inzucht eventuell neue Defektzuchten.

Quelle: SWR | Stand: 26.02.2020, 08:43 Uhr

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