Legenden um die Ankunft der Maori
"Meine Vorfahren kamen in Booten mit zwei Rümpfen, indem sie den Wind mit dreieckigen fasrigen Segeln einfingen und sich den Weg durch natürliche Navigationshilfen weisen ließen", schreibt der Maori-Historiker Buddy Mikaere.
"Unsere Legenden sagen, dass wir schon längst von diesem Land wussten. In der so weit entfernten mythischen Vergangenheit, als die Welt noch jung war und die Götter die Erde durchwanderten."
Es ranken sich viele Legenden um die Ankunft der Maori in Neuseeland. Eine davon erzählt von Kupe, dem Seefahrer. Er segelte um die Inseln herum und ließ schließlich einen Teil seiner Familie zurück, damit sie die ersten Bewohner des Landes würden.
Auf Kupes Tochter soll auch der Maori-Name Aotearoa ("Land der langen weißen Wolke") zurückgehen – weil sie bei der Ankunft etwas Weißes am Horizont sah und rief: "He ao! He ao!" ("Eine Wolke! Eine Wolke!")
Zusammenleben in Familiengruppen
Wissenschaftlich gesichert ist nur, dass die Maori Neuseeland zwischen dem achten und dem 14. Jahrhundert besiedelten. Wahrscheinlich kamen sie in mehreren Wellen aus Südostasien, genauer aus Polynesien.
Die Ankömmlinge fanden ein Land vor, das genug Raum zum Siedeln bot. Sie lebten in kleinen Familiengruppen ("whanau") zusammen, wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt waren. Aus diesen wurden im Laufe der Zeit größere Einheiten, die "hapu", die die soziale Grundstruktur der Maori-Gesellschaft bildeten.
Als die Maori-Siedler herausgefunden hatten, welche Regionen ihrer neuen Heimat die fruchtbarsten waren, gab es Kämpfe um diese Gebiete. Die so ausgelösten Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen zogen sich zum Teil über mehrere Jahrhunderte in einem Kreislauf aus Gewalt und Rache hin. Denn für die Maori galt nichts höher als "mana" – ihre Ehre.
Erster Kontakt mit Europäern
"Die Maori lebten in einer Gesellschaftsform, die von den kriegerischen Handlungen dominiert wurde. Alle anderen Aspekte des Lebens richteten sich danach. Der Lebensraum der Maori war weit entfernt von anderen Gesellschaftsformen, so dass es nicht zu einem Erfahrungsaustausch oder zu einem Technologietransfer kommen konnte", beschreibt Historiker Mikaere das Dilemma seiner Vorfahren, solange sie in Neuseeland unter sich waren.
Dass jedoch auch das Aufeinandertreffen mit Fremden Probleme mit sich bringen würde, war abzusehen. 1642 war der niederländische Seefahrer Abel Tasman vermutlich der erste Europäer, der neuseeländischen Boden betrat. Der Engländer James Cook bereiste und kartografierte im Jahr 1769 die Nord- und Südinsel und beschrieb die dort lebenden Menschen als "intelligent und verwegen".
Folgen der europäischen Besiedlung
Von da an kamen immer mehr europäische Siedler nach Neuseeland – vor allem Briten. Zum einen profitierten die Maori vom Kontakt mit der westlichen Welt: Sie bekamen einen Eindruck eines anderen Lebensstils, lernten neue Technologien und nützliche Gegenstände kennen, wie beispielsweise Nägel.
Doch die europäische Besiedlung Neuseelands hatte auch gravierende Nachteile für die Maori: Die Neuankömmlinge schleppten ihre Krankheiten ein, gegen die die Einheimischen keine Abwehrstoffe besaßen und an denen sie in großer Zahl starben – beispielsweise an Grippe oder Masern.
Darüber hinaus bekamen die kriegerischen Auseinandersetzungen der Maori untereinander völlig andere Dimensionen, weil sie nun die von den Europäern mitgebrachten Gewehre einsetzen konnten. Schätzungsweise ging die Zahl der Maori in dieser Zeit um mindestens zehn Prozent zurück.
Zudem machte sich Gesetzlosigkeit im Land breit – worauf die britische Krone im Jahr 1840 reagierte: Sie sandte einen Gouverneur nach Neuseeland, und am 6. Februar wurde der Inselstaat durch den Vertrag von Waitangi zu einer britischen Kolonie. Er gilt als das Gründungsdokument Neuseelands.
Widerstand gegen die britische Kolonialregierung
In dem Vertrag verzichteten die Maori auf alle souveränen Rechte und wurden zu britischen Bürgern. Im Gegenzug sicherte man ihnen zu, dass sie ihr Land behalten durften. Allerdings waren nicht alle Regelungen im Kontrakt eindeutig und wurden nach und nach aufgeweicht.
So erlaubte die britische Kolonialregierung den europäischen Siedlern zunehmend, sich auf Land niederzulassen, dessen Eigentumsverhältnisse nicht sicher geklärt waren. Dagegen leisteten die Maori gewaltsamen Widerstand, was eine Serie von Kriegen nach sich zog: die Neuseelandkriege.
Zwischen 1845 und 1872 kämpften Siedler mit Unterstützung britischer Soldaten gegen die Maori. Doch es gab auch Kämpfe zwischen britischen Soldaten und verbündeten Maori mit Gegnern der Kolonialregierung. Und in einigen Fällen schlugen sich Siedler in Konflikten gar auf die Seite der Maori.
Die Folgen der Neuseelandkriege waren für die Maori extrem hart: Sie wurden zum größten Teil enteignet – selbst jene Stämme, die sich regierungsloyal verhalten hatten. Inzwischen hat sich die britische Krone für diese Politik entschuldigt.
Niedergang und Renaissance der Maori-Gesellschaft
Für die Maori bedeuteten die Enteignungen den wirtschaftlichen und sozialen Abstieg. Inzwischen waren sie nur noch die Minderheit in ihrem eigenen Land und spielten gesellschaftlich und politisch kaum noch eine Rolle.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg formierte sich eine politische Bewegung, die "Young Maori Party", um die Maori-Gesellschaft wiederzubeleben. Sie verfolgte keine Politik der Abgrenzung, sondern unterstützte die Übernahme westlichen Wissens und westlicher Werte, aber gleichzeitig die unbedingte Förderung der Maori-Traditionen.
Entschädigungen für die Enteignungen
In den 1960er-Jahren erlebte die Kultur der Maori einen erneuten Aufschwung, und die neuseeländische Regierung erkannte sie endgültig als politische Kraft an. 1975 wurde das Waitangi-Tribunal installiert – eine Instanz, bei der Maori ihre Rechtsansprüche aus dem Vertrag von Waitangi anmelden können.
Nach mehr als 20 Jahren Verhandlung einigten sich im Jahr 2008 die Regierung und sieben Maori-Stämme auf eine umfassende Entschädigung. Durch den Vertrag wurden diese Stämme zu den größten Waldbesitzern Neuseelands.
Doch auch wenn die Maori im Gegensatz zu anderen Minderheiten – wie beispielsweise den nordamerikanischen Indianern – heute relativ gut dastehen: Die rund 800.000 Maori, die 16,5 Prozent der Bevölkerung Neuseelands (Stand 2019) ausmachen, sind durchschnittlich schlechter ausgebildet und häufiger arbeitslos und krank als der Rest der Neuseeländer.
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 01.07.2020)