Von Gott gewollt?
"Jesus hat es so vorgelebt", sagen die Befürworter des Zölibats. Tatsächlich steht in der Bibel, dass Jesus unverheiratet blieb. Im Evangelium von Matthäus steht zum Beispiel der Satz: "Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht um des Himmelreiches willen."
Die Anhänger des Zölibats interpretieren die Stelle so, dass die Ehe für Diener Gottes "um des Himmelreiches willen" zu meiden sei.
Auf der anderen Seite gibt es keine Bibelstelle, die darauf hinweist, dass Jesus die Ehelosigkeit von seinen Jüngern verlangt hat. Er forderte, dass sie "sanftmütig" und "demütig" sein sollten "wie der Vater und ich", aber nirgendwo heißt es: "Verheiratet Euch nicht."
Auch Paulus schreibt in seinen Korintherbriefen: "Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn." Viele der Jünger Jesu waren verheiratet. So ist in der Bibel zum Beispiel von der "Schwiegermutter des Petrus" die Rede. Und Petrus gilt nach Auffassung der katholischen Kirche immerhin als erster Papst.
Familienväter als Priester
Nach der Gründung der christlichen Kirche konnten Priester und Bischöfe jahrhundertelang selbst entscheiden, ob sie heiraten wollten. Die Forderung "kein Sex für Priester" wurde sinngemäß erstmals auf der Synode von Elvira im Jahr 306 nach Christus laut.
Damals beschlossen Priester und Bischöfe, dass christliche Geistliche auch in der Ehe enthaltsam leben sollten. Sie wollten das Gesetz, das zunächst nur für Spanien galt, in der gesamten christlichen Welt durchsetzen. Doch ihr Versuch scheiterte.
Im ersten Jahrtausend nach Christus versuchte die Kirche, unkeusche Priester zu bestrafen oder Priesterkinder für unehelich erklären zu lassen. Frauen, die Geschlechtsverkehr mit Geistlichen hatten, wurden vom Benediktinermönch Damian (1006-1072) als "Lockspeise des Satans" beschimpft.
Trotz der weit verbreiteten Auffassung, dass der Zölibat die angemessene Lebensweise sei, war im ersten Jahrtausend nach Christus ein großer Teil der Pfarrer verheiratet.
Im 12. Jahrhundert wurde der Zölibat Pflicht
Was mehr als tausend Jahre lediglich als Ideal galt, wurde im 12. Jahrhundert Kirchengesetz. Unter Papst Innozenz II. beschloss man 1139 auf dem zweiten Lateran-Konzil, den Zölibat für christliche Priester auf der ganzen Welt zur Pflicht zu machen. Bestehende Ehen von Geistlichen wurden für ungültig erklärt.
Die spirituelle Begründung für die Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit lautete "um des Himmelreiches willen". Es gab aber auch weltliche Gründe: Die Kirchengüter sollten bewahrt und vermehrt werden. Schließlich vererbten verheiratete Priester ihren Besitz ihren Kindern. Das Hab und Gut alleinstehender Kleriker fiel dagegen nach deren Tod der Kirche zu.
Auf dem Papier war der Zölibat mit dem Konzilbeschluss endgültig festgeschrieben, aber nicht alle Priester hielten sich daran. Viele weigerten sich, ihre Frauen und Kinder zu verlassen.
Auch in den folgenden Jahrhunderten konnte bei vielen Klerikern keine Rede von bedingungsloser Keuschheit sein. Der Bischof von Basel soll 20 Kinder gezeugt haben, der Bischof Heinrich von Lüttich sogar mehr als 60.
Selbst Päpste nahmen das Enthaltsamkeitsversprechen nicht immer ernst: So soll Innozenz VIII. im 15. Jahrhundert 16 Kinder gehabt haben, sein Nachfolger Alexander VI. immerhin fünf.
Bis heute ein Streitthema
Diskussionen zum Thema Zölibat gibt es bis heute. Der suspendierte Priester und Kirchenkritiker Eugen Drewermann etwa sagte 2010 in einem Interview mit "Deutschlandradio Kultur", der Sinn des Zölibats liege darin, Macht über die Seele von Menschen zu bekommen.
Aber auch prominente CDU-Politiker wie Norbert Lammert und Annette Schavan sowie rund 150 angesehene katholische Theologen forderten in den 2010er-Jahren öffentlich ein Ende der Zölibats-Pflicht.
Der Zölibat halte junge Männer davon ab, Priester zu werden, argumentieren die Zölibats-Gegner. Sie führen den Nachwuchsmangel in der katholischen Kirche auf die Keuschheitspflicht zurück. Absurd seien zudem die Ausnahmeregelungen, die es in der katholischen Kirche für den Zölibat gebe. Priester der mit Rom vereinigten Ostkirchen dürften zum Beispiel heiraten – dort gelte die Ehelosigkeit nur für Bischöfe.
Auch Männer, die konvertiert sind und zu katholischen Priestern geweiht werden, könnten weiter mit ihren Familien zusammenleben. Nicht zuletzt sei mit dem Zölibat viel Leid und Heuchelei verbunden, denn viele Priester hätten dann eben heimliche Beziehungen, so die Kritiker.
Die Verteidiger des Zölibats halten dagegen, dass man als Priester "um des Himmelreiches willen" dem Beispiel des unverheirateten Jesus folge. Von einem Zwangszölibat könne keine Rede sein, da sich die Priester freiwillig zu diesem "Geschenk an Gott" verpflichteten.
Und während Familienväter sich um Frau und Kinder sorgen müssten, könne der unverheiratete Priester sich voll und ganz Gott und den Menschen in seiner Gemeinde widmen.
Reformen in Sicht?
2014 titelten viele Zeitungen, Papst Franziskus wolle das Zölibats-Problem angehen. Sie beriefen sich auf ein Interview, das der Papst der italienischen Zeitung "La Repubblica" gegeben hatte. Darin hatte er angedeutet, dass er für die Zölibatsfrage Lösungen finden wolle.
Weniger Aufsehen erregte die Tatsache, dass der Vatikan die angeblichen Äußerungen umgehend dementierte. Tatsächlich lässt bislang keine Aussage von Papst Franziskus darauf schließen, dass er den Zölibat reformieren will.
Das Buch "Papst Franziskus – Mein Leben, mein Weg. El Jesuita" enthält ein Interview, das er noch in seiner Zeit als Kardinal und Erzbischof von Buenos Aires gegeben hat. Darin erzählt der heutige Papst folgenden Witz über zwei Priester: "Der eine Priester fragt: 'Wird ein neues Konzil den Pflichtzölibat aufheben?' Der andere: 'Ich glaube ja.' Der erste: 'Jedenfalls werden wir das nicht mehr erleben, sondern höchstens unsere Kinder.'"
(Erstveröffentlichung 2014. Letzte Aktualisierung 14.09.2020)