Führt der Weg in die EU?
Viele junge Georgier sehen es ganz klar: Das Land ist westlich, auch wenn es aus geografischer Sicht in Asien liegt und an Russland grenzt. Deshalb hofft die junge Generation, dass Georgien bald zur Europäischen Union (EU) gehören wird.
Diese Meinung vertritt inzwischen eine große Mehrheit der Bewohner des Staates. Bis 2022 glaubten vele nicht, dass das kleine Land mit knapp vier Millionen Einwohnern so einfach dem "großen Bruder" Russland den Rücken kehren kann. Viele wollten es auch nicht. Doch dann kam im Februar 2022 der russische Einmarsch in die Ukraine. Wenig später stellte Georgien den Antrag, um als Beitrittskandidat der EU aufgenommen zu werden. 80 Prozent der Georgier befürworteten inzwischen die Bindung an den Westen.
Mangelnde Aufarbeitung der georgischen Sowjetzeit
Die Zeit als ehemalige Sowjetrepublik haben die Georgier kaum aufgearbeitet. Selbst heute noch wird zum Beispiel der Diktator Josef Stalin in einem georgischen Museum in Gori als Held gefeiert. Gerade die ältere Generation sieht lieber das Positive, das Stalin im Südkaukasus bewirkte, als seine Schreckensherrschaft.
"Bemühungen, das Museum zu schließen und ein neues zu bauen, wurden vereitelt", berichtet Georgien-Expertin Silvia Stöber. Nur die Stalin-Statue wurde abgebaut. Selbst dies habe lange gedauert, betont Stöber. Viele Leute trauten sich nicht an eine Aufarbeitung heran. Stöber: "In einer Familie findet sich normalerweise immer beides: Stalin-Anhänger und -Opfer. Die Geschehnisse aufzuarbeiten, wäre sehr schmerzhaft."
Russisches Machtspiel im Kaukasuskrieg 2008
Zuletzt hatte Russland seine Macht im Jahr 2008 demonstriert – 17 Jahre nach der Unabhängigkeit Georgiens. Fünf Tage lang dauerte der Konflikt zwischen Georgien und Russland, der sich um die beiden nach Eigenständigkeit strebenden georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien drehte. Die Europäische Union (EU) und andere Institutionen wie die NATO konnte im Kaukasuskrieg schließlich einen Waffenstillstand verhandeln.
Am Ende erkannte Russland Südossetien und Abchasien als von Georgien unabhängig an und forderte andere Staaten auf, seinem Beispiel zu folgen. Bisher haben dies aber nur vier Länder getan: Nicaragua, Venezuela, Nauru und 2018 auch Syrien. Alles Staaten, die politisch eng mit Russland verbündet sind.
Seit 2008 hat die EU eine Beobachtermission im Land – die EUMM. Rund 200 Beobachter patrouillieren an der Trennlinie zwischen Georgien und seinen abtrünnigen Provinzen. Das Überschreiten der Linie, die keine offiziell anerkannte Grenze ist, ist nicht erlaubt. So leben bis heute Verwandte und Freunde auf verschiedenen Seiten, ohne sich treffen zu können.
Georgien und die Nato
2008 hatte die Nato Georgien versprochen, das Land in die Nato aufzunehmen. Was folgte, war der Kaukasus-Konflikt mit Russland, das seither die Provinzen Abchasien und Südossetien kontrolliert und sich gegen jede Osterweiterung der Nato wehrt. Zehn Jahre später erneuerte die Nato die Zusage, Georgien aufzunehmen.
Die Zustimmung der Bevölkerung zu einem möglichen Nato-Beitritt ist in Georgien groß, doch noch lässt er auf sich warten. Während der Großteil der georgischen Bevölkerung den Schutz der Nato suchen will, hat die Nato, ebenso wie die EU, Bedenken. Grund dafür sind vor allem innenpolitische Entwicklungen, die die Demokratie schwächen. Und ebenso wie beim EU-Beitritt zögert Georgiens Regierung, was zu innenpolitischen Spannungen führt.
Georgien nähert sich der EU an
Die ersten Schritte zu einer möglichen EU-Mitgliedschaft hatte Georgien schon vor einigen Jahren getan. Seit 2009 ist das Land über die sogenannte Östliche Partnerschaft, einem Teilprojekt der Europäischen Nachbarschaftspolitik, mit der EU verbunden und seit 2014 als Mitglied der Vertieften und Umfassenden Freihandelszone (DCFTA).
Seit 2016 besteht ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, das den Export aus Georgien deutlich angekurbelt hat. Das Land am Kaukasus verkauft verschiedene Bodenschätze wie Kupfer und landwirtschaftliche Produkte, darunter Hasel- und Walnüsse. Auch georgischer Wein ist im Ausland gefragt.
Auch wenn es bis zu einer vollständigen EU-Mitgliedschaft noch lange dauern kann, profitieren die Menschen im Land schon jetzt vom Assoziierungsabkommen, erklärt Georgien-Expertin Silvia Stöber. Viele EU-Standards seien eingeführt worden, wie zum Beispiel ein TÜV für Autos und Richtlinien für Lebensmittel. Diese hätten deutliche Verbesserungen gebracht.
Auch der Handel mit den europäischen Ländern wächst. Die EU sei ein interessanter Markt für die Georgier, weil sie mehr Vertrauen in diese Produkte hätten als beispielsweise in chinesische, sagt Silvia Stöber. Gute wirtschaftliche Kontakte gebe es bisher zu Deutschland, EU-weit sei der Export noch ausbaufähig.
Georgien beantragt den EU-Beitritt
Gerade georgische Unternehmer und junge Georgier träumen von festeren Banden mit der EU. Die seit 2017 geltende Visafreiheit war ein erster Schritt, doch viele Georgier hoffen auf mehr. Sie verweisen darauf, dass Georgien bei der Pressefreiheit und Wirtschaftlichkeit heute schon deutlich fortschrittlicher sei als die EU-Beitrittskandidaten Albanien und Serbien.
Im März 2022, nach der russischen Invasion der Ukraine, stellte Georgien in Brüssel den Antrag für die Aufnahme in die EU. Doch während die Ukraine und Moldau von der EU in kürzester Zeit den Status als Beitrittskandidaten erhielten, wird es bei Georgien länger dauern. Zunächst fordert die EU umfassende Reformen, beispielsweise im Bereich Justiz und bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität.
Die Bevölkerung unterstützt inzwischen mehrheitlich die Orientierung nach Europa: 80 Prozent sprachen sich bei Umfragen im Juni 2022 für den EU-Beitritt aus.
(Erstveröffentlichung 2018. Letzte Aktualisierung 14.08.2024)
UNSERE QUELLEN
- Tagesschau.de: "Georgier fordern EU-Beitritt" (25.06.2022)
- Spiegel.de: "Beitrittsreferendum in georgischer Region" (01.04.2022)
- Süddeutsche.de: "14 Jahre auf Schutzsuche" (18.01.2022)
- Deutschlandfunk: "10 Jahre nach dem Krieg. Russland, Südossetien und Georgien – unversöhnt" (07.08.2018)
- Tagesschau.de: "Vom Klassenbesten zum Verlierer" (17.06.2022)
- European Union Monitoring Mission (EUMM)