Kairo – die Siegreiche
Kairo bietet kein einheitliches Bild. Die Stadt ist ein Sammelsurium unterschiedlicher Siedlungen, denn von jeher hat sie sich ihre Umgebung einverleibt. Ihr arabischer Name "El Qahira", aus der sich das westliche Wort Kairo ableitet, ist deshalb sehr treffend: die Siegreiche.
Offiziell ist die Gründung der Stadt auf 969 nach Christus datiert, doch schon vorher gab es an ihrer Stelle Ortschaften. Einige Gebäude, besonders im christlich-koptischen Viertel, zeugen noch heute von dieser Zeit. Als Kairo 973 nach Christus Hauptstadt der islamischen Dynastie der Fatimiden wurde, schwang sie sich vom Provinznest zur Metropole auf.
Lange war sie das religiöse und geistige Zentrum eines Reiches, das sich von Marokko bis in den Nahen Osten erstreckte. Ob Fatimiden oder Mamelucken, Sultane oder Briten und Franzosen im 19. Jahrhundert – Kairo wuchs und wuchs.
Heute beherbergt die Hauptstadt Ägyptens mitsamt ihrem Einzugsgebiet schätzungsweise 20 Millionen Menschen. Waren Städte wie Gizeh einst weit von der Metropole entfernt, reicht Kairo nun bis zum Fuß der legendären Pyramiden. Das enorme Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Wohnungsnot bestimmen den Alltag der Kairoer.
Die Stadt breitet sich immer weiter aus
Art déco am Nil
"Paris entlang des Nils" wird das Stadtzentrum Kairos auch genannt. Wohin das Auge blickt, stehen Gebäude im europäischen Stil. Hier ein wenig Jugendstil, dort Art déco oder Neo-Rokoko: Nach westlichem Vorbild wollte Vizekönig Ismail Pascha im 19. Jahrhundert die Innenstadt modernisieren. Eigens dafür herbeigeholte europäische Architekten tobten sich nach Herzenslust aus.
Bis heute bestimmt der westliche Lebensstil das Zentrum. Hier befinden sich die internationalen Hotels, Geschäfte und die meisten Nachtclubs. Das ägyptische Parlament und viele Botschaften sind hier anzutreffen, ebenso wie die Oper und das legendäre Ägyptische Museum mit seiner riesigen Sammlung.
Das Tiring Warenhaus im Zentrum Kairos
Tradition und Glaube
Östlich vom Stadtzentrum liegt die islamische Altstadt von Kairo. Seit 1979 wird sie von der Unesco als Weltkulturerbe geführt. Hier brodelt das traditionelle Leben Kairos. Der beengte, oft baufällige Wohnraum lässt das Leben auf der Straße stattfinden. In einem Wirrwarr enger Gassen spielen die Kinder, sitzen die Einheimischen in Kaffeehäusern und bieten Geschäftsleute ihre Waren feil.
Besonders turbulent geht es auf dem Basar "Khan el Khalili" zu. Bereits seit dem 14. Jahrhundert kommen Händler an diesem Ort zusammen. Erstanden früher die Einheimischen Gewürze, Parfüms oder Kleidung, gehen hier heute eher die Touristen auf Souvenirjagd.
Ein Basar in der Altstadt von Kairo
Berühmt ist die Altstadt vor allem wegen der Vielzahl prachtvoller Moscheen. Besondere Bedeutung hat die "Al Azhar"-Moschee mit ihrer angegliederten Universität. Sie gilt als religiöses und geistiges Zentrum der Sunniten und als weltweit oberste Instanz in islamischen Glaubensfragen.
Wer genau wissen will, was nach dem Koran erlaubt ist, kann hier bei den Gelehrten Rechtsgutachten beantragen, sogenannte Fatwas. Das nutzt auch die Bundesrepublik Deutschland. Sie ließ unter anderem klären, dass das Betäuben von Tieren vor dem traditionellen Schlachten, dem Schächten, nach islamischem Glauben erlaubt ist.
Religion spielt eine wichtige Rolle
Christen in Kairo
Im Süden, am Nil gelegen, zeugen Kirchen und Klöster von der christlichen Geschichte Ägyptens. Noch heute leben viele Anhänger der christlich-koptischen Kirche in diesem Viertel.
Die christliche Tradition in Ägypten ist älter als die islamische. Erst durch die Islamisierung Mitte des 7. Jahrhunderts verlor sie an Einfluss. Heute gehören etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung Ägyptens der koptischen Kirche an. Ihr Papst Tawrados II. residiert in Kairo.
Das Leben in der Hauptstadt ist für Kopten nicht leicht. Mehrere Male kam es bereits zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit muslimischen Gruppen.
Internationale Aufmerksamkeit erlangen vor allem die Zabalins – Müllleute, die fast ausschließlich dem christlichen Glauben angehören. Sie leben in eigenen Müllvierteln und verdienen sich ihr Geld, indem sie die Abfälle der Stadt einsammeln und vor ihrer Haustür sortieren. Die hygienischen Zustände in solchen Vierteln sind katastrophal.
Recycling in Kairo
Leben in der Totenstadt
Während Muslime normalerweise ihre Toten in der Erde vergraben, folgen vor allem die reichen Kairoer der pharaonischen Tradition, Mausoleen für die Verstorbenen zu bauen. Diese bestehen nicht nur aus einer Grabkammer, sondern aus mehreren Räumen, in denen der Toten gedacht und mit ihnen gefeiert werden kann.
Doch die Mausoleen auf den Friedhöfen Kairos sind inzwischen längst Stätten der Lebenden geworden. Armut und Wohnungsnot zwingen Hunderttausende Kairoer, mit den Toten zu wohnen. An die Grabbesitzer wird oftmals sogar eine kleine Miete gezahlt. Die Stadtverwaltung hat sich ebenfalls mit den Totenstädten abgefunden. Einige versorgen sie bereits mit Wasser und Strom.
Fast die Hälfte Kairos besteht aus solchen oder ähnlichen informellen Wohngebieten, denn offizieller Wohnraum ist in Kairo knapp und viel zu teuer. Ein Fiasko besonders für junge Paare: Ein ägyptischer Mann darf in der Regel erst heiraten, wenn er eine eigene Wohnung vorweisen kann.
Leben mit den Toten
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 18.03.2020)
Quelle: WDR