Mitgift in Indien
Die Geringschätzung von Frauen zeigt sich auch an der noch immer häufig geforderten Mitgift der Braut. Die Mitgift hat in Indien seit Jahrhunderten Tradition. Obwohl das Gesetz sie seit 1961 verbietet, ist sie noch immer sehr verbreitet. Ursprünglich stattete die Brautfamilie ihre Tochter zur Hochzeit mit Schmuck oder anderen wertvollen Dingen aus, später entwickelte sich die Mitgift zur Einnahmequelle für die Familie des Bräutigams.
Häufig sind die Zahlungen eine große Belastung für die Familie der Braut. Mitgift-Streitigkeiten in indischen Familien führen immer wieder dazu, dass Frauen misshandelt, verstoßen oder sogar getötet wurden.
Eine dunkelhäutige Braut kann teuer werden
Noch heute haben sich in Indien die Töchter und Söhne bei der Partnerwahl den Wünschen der Eltern zu fügen. Von einer Frau wird erwartet, dass sie froh ist, wenn sie in den Haushalt der Schwiegereltern aufgenommen wird. Dementsprechend müssen die Brauteltern bei einer Heirat zahlen. Hat die Braut eine akademische Ausbildung, beeindruckt das die Schwiegereltern nur selten. Die neue Frau in der Familie soll den Haushalt nach dem Geschmack der Schwiegermutter weiterführen.
Oft wird die Mitgift als Geschenk kaschiert, doch tatsächlich handeln die Eltern einen Preis aus, den die Brautfamilie den Schwiegereltern zahlen muss. Die Höhe der Mitgift richtet sich nach Aussehen, Hautfarbe und Erziehung der Braut sowie nach Einkommen, Kaste und Zukunftschancen des Mannes.
Die arrangierte Ehe
Rund 90 Prozent aller indischen Ehen werden von den Eltern des Brautpaars arrangiert. Die Familien sehen die Ehe als Möglichkeit, sich wirtschaftlich und sozial abzusichern. Auch wenn die Zustimmung für arrangierte Ehen bröckelt, dominiert diese Praxis noch immer: Partner und Zeitpunkt werden von den Eltern und dem ältesten Sohn der Familie bestimmt.
Die Partnersuche läuft über Heiratsagenturen oder Annoncen in Zeitungen und Internet. Ausbildung, Einkommen und Kaste sind entscheidende Auswahlkriterien.
Ehen, die über Kastengrenzen hinweg geschlossen werden, sind selten. Doch nicht immer wird die arrangierte Ehe als Zwang gesehen. Viele junge Inderinnen und Inder wünschen sich sogar, dass ihnen die Eltern den Partner suchen. Die Familie besitzt in Indien einen hohen Stellenwert und das Individuum ordnet sich den Belangen der Gemeinschaft unter.
Gewalt gegen Frauen
Die Gruppenvergewaltigung einer jungen Studentin in Delhi schockierte 2012 die Welt. Die junge Frau starb an ihren schweren Verletzungen. Diese Tat war der Auslöser für massenhafte Proteste indischer Frauen. Auch die Eltern der getöteten Frau wandten sich an die Öffentlichkeit. Seitdem wurden die Strafen bei Vergewaltigung verschärft und die Täter werden häufiger verurteilt. 2020 wurden vier der sechs an der Gruppenvergewaltigung beteiligten Männer verurteilt und hingerichtet.
Doch die Vertuschung von Verbrechen an Frauen ist weiterhin ein massives Problem. Viele Beamte lassen sich von der Familie des Angeklagten bestechen und weigern sich, den Fall weiter zu verfolgen. Wenn Opfer den Mut aufbringen, sich an die Polizei zu wenden, werden sie einfach abgewiesen – obwohl Frauen und Männer gesetzlich gleichgestellt sind. Doch in Indiens Städten regt sich immer mehr Widerstand gegen diese Entrechtung und Misshandlung.
In Indien werden täglich mehr als 100 Vergewaltigungen bei der Polizei angezeigt. In den Jahren von 2007 bis 2016 ist die Zahl um 83 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen. Damit ist Indien das für Frauen gefährlichste Land der Welt.
Häusliche Gewalt
Studien gehen davon aus, dass jede dritte verheiratete Frau in Indien von ihrem Mann oder seiner Familie misshandelt wird. Jede zehnte Frau erlebt regelmäßig Gewalt mit schweren Verletzungen.
Die Geringschätzung der Frau zeigt sich auch an so genannten Mitgiftmorden. Schätzungen zufolge werden in Indien jedes Jahr rund 25.000 Frauen ermordet, weil die Familien der Bräute angeblich nicht genug Mitgift zahlen. Frauen werden lebendig verbrannt: Weil es in den meisten indischen Haushalten Kerosinherde gibt, tarnen die Täter die Morde häufig als "Küchenunfälle". Frauen, die in ihren Schwiegerfamilien misshandelt werden, töten sich häufig selbst. Und noch immer sind Frauen Opfer so genannter Ehrenmorde: Vor allem im Norden Indiens müssen Mädchen und Frauen sterben, weil sie angeblich die Familienehre beschmutzt haben. Die Dunkelziffer ist hoch.
Zur Gewalt gegen Frauen trägt nach Expertenmeinung stark bei, dass es in Indien einen großen Männerüberschuss gibt. In Indien müssten eigentlich 63 Millionen Frauen und Mädchen mehr leben. Doch weil Eltern Söhne wollen, werden Millionen weiblicher Föten abgetrieben. Nicht selten werden auch neu geborene Mädchen umgebracht.
Indische Frauen wehren sich
Trotz der massiven Gewalt fordern Frauenrechtlerinnen in Indien, Frauen nicht nur als Opfer zu betrachten. Das führe zu Stigmatisierung und Passivität. Viele Frauen wehren sich gegen ihre Rolle in der Gesellschaft und kämpfen gegen die Unterdrückung und für ein selbstbestimmtes Leben.
Obwohl heute viele Frauen aus der Mittelschicht eine Ausbildung oder einen akademischen Abschluss haben, endet ihre Karriere meist mit der Heirat. Sie ordnen sich den Bedürfnissen des Mannes und ihrer Schwiegereltern unter. Nur 24 Prozent der Frauen in Indien üben einen bezahlten Beruf aus. Doch gerade in der wachsenden Mittel- und Oberschicht bestehen mehr Frauen darauf, auch nach der Heirat außerhalb des Familienhaushaltes zu arbeiten. Notfalls verzichten sie darauf zu heiraten.
Emanzipation durch den Beruf
In den vergangenen Jahren wurden in Indien Arbeitsagenturen für die Vermittlung von Frauen gegründet. Eine davon ist "Jobs for her". Sie bietet Trainings an, um Fähigkeiten aufzufrischen oder neue Kenntnisse zu erwerben. Häufig ist es das mangelnde Selbstwertgefühl, das es Frauen nach ihrer Jobpause schwer macht, wieder in den Beruf zurück zu kehren. Die Agentur vernetzt Frauen, die in ihrer Arbeitspause häufig isoliert waren, mit Kolleginnen und Einrichtungen.