Kaffee

Der Kult um den Kaffee

Vom Kaffeekränzchen auf die Straße: In den 1990ern entdeckten die Deutschen den Kaffee wieder. Das Getränk aus den braunen Bohnen stieg zum Lifestyle-Produkt auf. Kaffeehausketten wie McCafé, Starbucks, Segafredo und Einstein eroberten die Städte.

Von Annette Holtmeyer, Britta Schwanenberg

Mission Kaffee

Mehr als 1500 Filialen gibt es laut Deutschem Kaffeeverband heute in Deutschland. Sie ködern die Kunden mit neuen Kreationen – und schaffen so einen neuen Kaffeekult. Mehr als 5 Millionen Deutsche besuchen mindestens einmal in der Woche eine Kaffeehauskette, heißt es beim Marktforschungsportal Statista (Stand: 2019).

Das Produkt: Kaffee in allen Variationen. Die Zielgruppe: junge aufgeschlossene Metropolenbewohner. Das Ziel: Jene Konsumenten zurück zu gewinnen, die infolge veränderter Lebensgewohnheiten anstelle von Filterkaffee lieber Soft- und Energydrinks trinken. In etwa so lässt sich die Mission beschreiben, die der Deutsche Kaffeeverband seit 2000 verfolgt.

"Die Deutschen trinken lauwarmen Kaffee aus der Thermoskanne immer noch häufiger als die Italiener oder Franzosen", sagt der Kaffeesommelier Michael Gliss. Aber neben dem klassischen Filterkaffee finden sich inzwischen viele neue Variationen in den Getränkekarten der Cafés und Restaurants.

Wer es exotischer mag, bestellt etwa einen Milchkaffee mit Sojamilch oder einen Frappuccino – ein Kaltgetränk aus Espresso, Milch, Eis und Sirup. Zum Standardrepertoire in den Lokalen gehören Espresso, Cappuccino und Latte macchiato.

Letzterer hat sich sogar als Synonym eines neuen Lebensstils etabliert: Die Latte-macchiato-Generation steht für junge Großstädter, die sich teure Markenkinderwagen, Smartphones und einen lässigen Lebensstil leisten und angeblich am liebsten Latte macchiato trinken.

Der Latte macchiato: Synonym für einen Lebensstil | Bildquelle: Mauritius

Die teure Lust an gutem Kaffee

In Deutschland lässt sich mit hochwertigen Kaffeegetränken ein gutes Geschäft machen. In etwa zweieinhalb Millionen Haushalten steht ein Kaffeevollautomat, der mehrere Hundert Euro gekostet hat. Für besonders hochwertige Kaffeebohnen wie zum Beispiel die Sorte "Jamaica Blue Mountain" geben Genießer bis zu 150 Euro pro Kilo aus.

Und weil der Kaffeekonsum seit Jahren steigt, werden ständig neue Trends ausgerufen – vom "Mochacchino" (einem Kaffee-Kakao-Milchgetränk) bis hin zum "Flat White" (einer australischen Cappuccino-Variante mit noch feinerem Milchschaum).

Der Kampf der Kapseln

Kapsel rein, Hebel runter, Tasse drunter: Aus der Maschine kommt ein Espresso mit dichtem, goldbraunem Schaum – die Italiener sagen "crema" dazu. Die Kaffeepads und -kapseln haben den Markt rund um das Lieblingsgetränk der Deutschen revolutioniert.

Das Prinzip: Die Hersteller verkaufen zunächst eine günstige Kaffeemaschine, um später an den teuren Pads und Kapseln zu verdienen.

Für den Erfinder Nestlé wurde die Idee zur Goldgrube. Mit den Kaffeekapseln ließen sich jahrelang hohe Gewinne erzielen.

Inzwischen bieten viele Unternehmen Nachahmerprodukte für die Maschinen an. Der Kampf um die Patente und Marktanteile tobt.

Nachahmerprodukte konkurrieren mit den Originalkapseln | Bildquelle: Mauritius

Der Geschmacksexperte für Kaffee: der Sommelier

Wenn in einem Kaffeeseminar das Geheimnis des perfekten Espressos gelüftet wird, herrscht bedächtige Stille unter den Teilnehmern, die gerne mehr über ihr Lieblingsgetränk wissen wollen.

Die Maschine faucht. Jetzt zeigt sich, ob das Pulver den richtigen Mahlgrad hat, ob es weder zu fest noch zu locker in den Siebträger gedrückt wurde. Während der Verkostung sind die Kaffeelehrlinge nicht um Worte verlegen, der Kaffee schmecke "samtig, rauchig, fruchtig".

Ein Sommelier kann bis zu 600 verschiedene Kaffeearomen erschmecken. Er weiß, wie sich die unterschiedlichen Anbaumethoden, die Herkunft und die Zubereitung auf den Geschmack des Kaffees auswirken. Michael Gliss ist der erste deutsche Kaffeesommelier mit Diplom.

Er bietet regelmäßig Verkostungen an. "Unter den Teilnehmern sind alle Alters- und Berufsgruppen vertreten – vom Manager über den Studenten bis zum Rentnerehepaar", sagt Gliss. Und die Seminare seien fast immer ausgebucht.

Viele Sommeliers bieten Kaffeeverkostungen an | Bildquelle: imago

Künstler für Kaffee: der Barista

Der Barista (italienisch für Barkeeper) ist ein Profi an der Espressomaschine. "Es ist unglaublich, wie viele Barista es plötzlich gibt", sagt Gliss. Eine geregelte Ausbildung für den Beruf gibt es allerdings noch nicht.

Spätestens seit der ersten Barista-Weltmeisterschaft, die 2000 in Monaco stattfand, verstehen sich die Barista auch als Künstler. Sie müssen etwa beweisen, dass sie aus Milchschaum und Kaffee kleine Kunstwerke zaubern können, die so genannte "Latte Art".

Von kunstvollen Blumengirlanden bis hin zum speienden Drachen: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der Profi arbeitet mit vielen Tricks, um die Bilder zu schaffen.

Der Espresso ist dickflüssig und die Milch sollte nicht heißer als 60 Grad sein, da sonst das Milcheiweiß gerinnt und der Schaum zu fest wird. Der Barista schäumt die Milch unter hohem Druck mit heißem Wasserdampf auf, damit der Schaum möglichst feinporig und glänzend wird.

Zum Zeichnen benutzen die Profis unter anderem Zahnstocher | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Erfahrung macht den Meister: der Röster

Viele Röster setzen auf Qualität statt auf Quantität. Den Ansprüchen sind keine Grenzen gesetzt: Die Bohnen werden von einigen Kleinröstereien mit der Hand verlesen, um den Röstgrad perfekt auf die Größe anpassen zu können.

Die richtige Röstzeit ist entscheidend für die Qualität. Je langsamer der Kaffee geröstet wird, desto mehr Säure und Gerbstoffe gibt er ab. In kleinen Röstereien dauert dieser Vorgang daher bis zu 20 Minuten, die Temperatur liegt unter 200 Grad. In der Industrie wird der Kaffee selten länger als drei Minuten bei 500 bis 700 Grad Celsius geröstet.

Erst durch das Rösten entfalten die Bohnen ihr Aroma | Bildquelle: Mauritius

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 05.07.2019)