Vorbilder im Ausland
Die Sport-Funktionäre im Deutschen Fußball-Bund (DFB) bezeichneten in den 1920er-Jahren den Berufsfußball als "schlimme Krankheit". 1930 gab es dann erste Vorschläge für eine deutsche Profi-Reichsliga. Auch Reichstrainer Sepp Herberger entwarf 1939 ein Konzept – doch der Zweite Weltkrieg verhinderte die Umsetzung.
In den 1950er-Jahren machten es dann Spanien, Italien und England vor: Dort sammelte sich die nationale Kicker-Spitzenklasse in Profi-Ligen. Fußballprofis brauchten keine Nebenjobs, konnten öfter trainieren und spielten daher besser als Amateure.
Bald dominierten spanische und italienische Vereine den Europapokal. Der deutsche Fußball schien ins Hintertreffen zu geraten. Auch in der Bundesrepublik musste sich etwas tun – es wurde höchste Zeit.
Kleinstaaterei und Provinzdenken
In Westdeutschland aber regierte altväterliche Tradition: Bis 1963 ermittelten die Regional-Sieger aus fünf Oberligen den deutschen Meister in einem wenig attraktiven System.
Gehälter und Prämien durften offiziell 400 Mark nicht überschreiten. Eine Heuchelei, denn längst wurden auch in Deutschland verbotene Handgelder gezahlt. Die Dunkelziffer war hoch. Gute Spieler wanderten ins Ausland ab, wo sie mehr verdienen konnten, zum Beispiel Helmut Haller oder Horst Szymaniak.
Dennoch überwog beim DFB die Skepsis: Ließ sich Profitum mit fairem sportlichen Wettstreit vereinbaren? War das wirtschaftliche Risiko für die Vereine nicht zu groß?
Kritiker mahnten, jedes Jahr würden einige Bundesligavereine Pleite gehen. Konnten die Clubs Reisekosten tragen und die Spielergehälter bezahlen? Alles hing davon ab, ob genug Zuschauer zu den Spielen kommen würden. Das erschien 1962 keineswegs sicher.
Qualität des deutschen Fußballs steigern
Am 28. Juli 1962 sprachen sich beim entscheidenden DFB-Bundestag in Dortmund Traditions-Clubs wie der 1. FC Nürnberg oder der Hamburger SV noch immer gegen eine neue zentrale Spielklasse aus. Aber die Erneuerer setzten sich durch, wohl auch, weil wenige Wochen zuvor die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Chile enttäuscht hatte.
Die Visionäre, das waren neben Bundestrainer Sepp Herberger der Präsident des 1. FC Köln, Franz Kremer, sowie Hermann Neuberger, Vertreter des Saarlandes und späterer DFB-Präsident. Ihr Grundgedanke: die Qualität des deutschen Fußballs steigern durch höhere Anforderungen, Konzentration der Elite und des Marktes.
Jeden Samstag sollten die 16 Bundesliga-Mannschaften auf höchstem Niveau spielen. So wurde es beschlossen, mit 103 zu 26 Stimmen. Allerdings lehnte der DFB-Bundestag das Vollprofitum ab und entschied sich für einen Kompromiss: den "Lizenzspieler" mit leicht erhöhten Gehaltsgrenzen von monatlich 500 Mark brutto, mit Prämien 1200 Mark. Immerhin ein Schritt zu mehr finanzieller Ehrlichkeit. Endlich konnte es losgehen!
Erfolgreicher Start und volle Stadien
Mehr als sechs Millionen Zuschauer, im Schnitt 25.000 pro Spiel, strömten während der ersten Bundesliga-Saison 1963/64 in die Stadien und ließen die Kritiker schnell verstummen. Das Geschäft rechnete sich, vor allem für Spitzenvereine wie den 1. FC Köln, 1964 erster Meister der Bundesliga und ein Vorzeige-Club. Professionell geführt, ausgestattet mit einem damals sehr modernen Vereinsheim und hervorragenden Trainingsplätzen.
Kölns Präsident Franz Kremer dachte über den Spielfeldrand hinaus: Bis zu seinem Tode 1967 achtete er darauf, dass seine Spieler nach dem Ende der Fußball-Karriere eine gesicherte Existenz hatten.
Das war damals keine Selbstverständlichkeit. Die meisten Lizenzspieler mussten sich anfangs zum spärlichen Kicker-Gehalt noch etwas dazuverdienen. "Max Michallek", sagte Timo Konietzka über seinen BVB-Vereinskollegen, "hatte drei Hochhäuser – aber zum Putzen." Der 1966 legendäre "World Cup"-Willi Schulz zapfte 1963 noch Bier hinter der Theke.
"Bomber" Gerd Müller schuftete 1965 halbtags. Und Willi "Ente" Lippens war froh, dass er 1966 ein Zimmerchen unter dem Dach des Essener Stadions mieten durfte.
Trinken verboten
Archaisch muten aus heutiger Sicht manche Trainingsmethoden an. Es galt in der Regel "Befehl und Gehorsam": Einige Übungsleiter waren frühere Wehrmachts-Soldaten. Bleiwesten und Medizinbälle waren gern gesehen, Disziplin ging über alles, so etwa bei "Zapf" Gebhardt und Max Merkel.
Oder bei Fritz Langner, Trainer von Werder Bremen, der den Beinamen "Eiserner Fritz" zu Recht trug. Verteidiger Sepp Piontek erinnert sich, man habe unter Langner oft zehn 200-Meter-Spurts nacheinander machen müssen – manchmal buchstäblich bis zum Erbrechen.
"Trocken bleiben", lautete damals eine Regel, die nach heutigen Erkenntnissen gesundheitsgefährdend ist: Einige Trainer meinten, die Spieler sollten beim Training kein Wasser trinken, um Gewicht abzubauen.
Im Winter wurde auf frostigem Boden geübt oder auf roter Asche. Bei Borussia Dortmund wurde der einzige Masseur "Einreiber" genannt. Von Physiotherapeuten, Ärzten oder Entmüdungsbecken keine Spur.
Jedes Jahr ein anderer Meister
"Bäumchen wechsel Dich" an der Tabellenspitze: Bis 1971 konnte kein Verein den Meistertitel verteidigen. Außenseiter hatten eine Chance. Das Wechselspiel der Kräfte machte den Saisonverlauf spannend und begeisterte die Fans.
Es zeigte sich bald, dass in den Anfangsjahren der Bundesliga kein finanzstarker Club eine so große Vorherrschaft ausüben konnte wie später Rekordmeister FC Bayern München. Auf den 1. FC Köln folgte 1965 als "Meister der Defensive" Werder Bremen. Ein Jahr später die von Max Merkel dressierten "Löwen" von 1860 München.
1967 dann erklomm Eintracht Braunschweig den Thron, mit nur 49 geschossenen Toren, aber einer Beton-Deckung, die nur 27 Gegentreffer zuließ. 1968 wurde der 1. FC Nürnberg Meister, um im darauf folgenden Jahr schon wieder abzusteigen – einzigartig in der Bundesliga-Geschichte.
1969 errangen die Bayern aus München den Titel, 1970 erstmals die "Fohlen" von Borussia Mönchengladbach, die im Jahr darauf als erstes Team die Spitze verteidigen konnten.
Elf Freunde sollt ihr sein
"Es ist müßig und wenig hilfreich, die Vergangenheit zu verklären", meinte Uwe Seeler 2003 in einem Zeitungsinterview zum 40-jährigen Bestehen der Bundesliga. Konkurrenz, Neid, Kampf um Stammplätze und Prämien – das gab es schon 1963.
Manche Spieler, die woanders mehr verdienen konnten, wechselten den Verein. So etwa Friedel Lutz, der 1966 für eine Transfersumme von 175.000 Mark von Eintracht Frankfurt zu 1860 München ging. Ein Beispiel von vielen. Geld spielte schon eine Rolle, wenn auch keine so große wie heute.
Weit mehr Profis stammten aus der Stadt oder der Region ihres Vereins und blieben ihm treu. Ausländer waren die große Ausnahme. Als Bayern München 1965 in die Bundesliga aufstieg, kamen von 25 Spielern 13 aus der eigenen Jugend. Viele von ihnen trafen sich noch 1999 sonntags zum "Alte Liga"-Kick, ähnlich wie die "Alten Herren" des Meidericher SV.
Wolfgang Overath und Wolfgang Weber blieben immer in Köln, Uwe Seeler und Gert "Charly" Dörfel verkörperten den HSV, Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein die Frankfurter Eintracht. Allesamt Identifikations-Figuren für die Fans. Man sprach eine Sprache, oft denselben Dialekt. Und das war eine der Voraussetzungen für Teamgeist.
1963 sei "mehr Kameradschaft und Freude" dabei gewesen, sagte Timo Konietzka 2003 in einem Interview über seine zwei Bundesligajahre beim BVB. "Wir waren damals alle Dortmunder Jungs, haben am Tisch gesessen, unsere Vereinslieder gesungen und uns gut verstanden." Verglichen damit wirken Bundesligamannschaften im 21. Jahrhundert von außen eher wie kühl kalkulierende Interessengemeinschaften.
(Erstveröffentlichung 2005. Letzte Aktualisierung 08.09.2021)