Lebensmittel
Kohlgemüse
Kohl – ein typisch deutsches Gemüse? Von wegen! Deutschland mag für den Konsum von Kohl und für den Export von Sauerkraut bekannt sein. Aber Kohl ist ein wahrhaft internationales Gewächs und nach Tomaten das meistangebaute Gemüse der Welt.
Von Martina Frietsch
Was ist Kohlgemüse?
Kohlgemüse gibt es in den unterschiedlichsten Formen – von den dicken Rot- und Weißkohlköpfen über den zierlichen Rosenkohl bis zum fast salatartigen Chinakohl. Alle Sorten der Gattung "Brassica oleracea", so der lateinische Name, gehören zur großen Familie der Kreuzblütler.
Damit ist das Kohlgemüse ein Verwandter von Raps, Rüben, Senf, Rettich, Radieschen und ungefähr 3000 weiteren Arten. So unterschiedlich die Kreuzblütler sein mögen, eines verbindet sie jedoch: Die Pflanzen haben einen hohen Gehalt an Senfölen, die den typischen Kohlgeschmack ausmachen.
Geschichte
Auch seiner Herkunft nach ist der Kohl, der heute in bei uns angebaut wird, keineswegs ein Deutscher. Eher schon Grieche oder Italiener, denn alle heutigen Gemüsekohlsorten stammen vom Wildkohl ab und der wuchs ursprünglich in der Mittelmeerregion.
Der Wildkohl besaß noch keine festen Köpfe wie beispielsweise der heutige Weißkohl. Er hatte eher locker angeordnete, dicke Blätter wie der Grünkohl, der der Urform noch am ähnlichsten ist. Wildkohl gibt es auch heute noch in etlichen Mittelmeerländern und auf der Nordseeinsel Helgoland.
Kohl kommt ursprünglich aus der Mittelmeerregion
Bereits vor mehreren Tausend Jahren begannen Menschen, den Kohl zu kultivieren. Sie züchteten ihn auf bestimmte Merkmale hin und legten so die Grundlage für die heutige Vielfalt an Kohlgemüse-Sorten.
In der Antike finden sich mehrmals schriftliche Erwähnungen des Gemüses. Platon, Aristoteles und Hippokrates wussten bereits im 4. Jahrhundert vor Christus um die Heilwirkungen. Auch die Römer kultivierten den Kohl und bauten ihn als Gartengemüse an. Kohl wurde in Suppen gegessen und auch schon eingesäuert.
Kohl in Deutschland
Im Mittelalter begann der Kohl dann den Siegeszug gen Norden. Innerhalb weniger Jahrhunderte wurde er, ebenso wie die Rübe, in Deutschland zum unentbehrlichen Bestandteil des Speiseplans.
Kohl ist unter dem Namen "caulos" bereits in der Landgüterverordnung Karls des Großen aufgeführt, in der er Ende des 8. Jahrhunderts 73 Pflanzen festlegte, die auf den kaiserlichen Gütern angepflanzt werden sollten.
Besonders in Norddeutschland fand der Kohl ideale Wachstumsbedingungen vor. Kohl ist zwar nicht sehr anspruchsvoll, doch er liebt nährstoffreiche Böden und braucht eine regelmäßige Wasserversorgung. In den deutschen Küstenregionen gedieh er besonders prächtig.
Norddeutschland war lange Hochburg des Kohls – was sich noch heute in Festen und den berüchtigten Kohlfahrten niederschlägt. Im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein gibt es sogar eine Kohlstraße, die von Brunsbüttel über die Orte der Küste nach Norden bis Wesselburen führt und bei Büsum endet.
Auch in weiteren deutschen Gegenden wird die Kohltradition hochgehalten, zum Beispiel auf den Fildern, einem Anbaugebiet auf einer Hochebene im Süden der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, wo auch jedes Jahr im Oktober das Filderkrautfest gefeiert wird – Deutschlands größtes Kohlfest.
Zum Anbau ideal sind nährstoffreiche Böden
Arme-Leute-Essen
Über die Jahrhunderte erwies sich der Kohl oftmals als Rettung für die Bevölkerung, wenn es zu Notzeiten kam oder ein besonders strenger Winter zu überstehen war. Der Kohl handelte sich den Ruf als "Arme-Leute-Essen" ein. Ausnahmen bildeten noch am ehesten Blumenkohl und Brokkoli, die als edler galten und die auch nicht aus der feinen Küche verbannt wurden.
Brokkoli galt als "edleres" Gericht
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Amerikaner und Engländer, die den Deutschen den uncharmanten Spitznamen "Krauts" verpassten. Dabei verpassten gerade Importe aus Übersee im 19. Jahrhundert dem Kohlanbau einen Schub: Der Kohlanbau war nicht nur äußerst lohnend, sondern ersetzte den von Getreide, das durch billige Importe an Marktwert verlor und dessen Anbau für die Bauern nicht mehr rentabel war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Interesse an Kohl zurück. Die Struktur der Betriebe, die Kohlgemüse anbauten, änderte sich. Anstelle vieler Kleinbetriebe übernahmen überwiegend nun die Großen die Produktion.
Heute erlebt der Kohl in Deutschland wieder eine kleine Renaissance: Alte Sorten, die durch den industriellen Anbau in Vergessenheit geraten waren, werden wiederentdeckt. Regionale Besonderheiten erwecken das Interesse der Verbraucher.
Und die Gastronomie, in der gerade der Weißkohl in den vergangenen Jahrzehnten oftmals einen schweren Stand hatte, greift auch für die gehobene Küche wieder auf das vielseitig verwendbare Gemüse zurück.
Kohl international
Kohlgemüse wird heute auf allen Kontinenten angebaut. Bei Brokkoli besonders stark vertreten sind Nord- und Südamerika, in Australien überwiegt der Blumenkohl, in Europa und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist der Weißkohl am stärksten vertreten.
Und auch in Afrika wachsen vor allem Weißkohlköpfe. Sie gedeihen vor allem in Hochlandregionen, in denen es genügend Niederschlag und weniger Hitze gibt. Führend beim Anbau sind Kenia und Ägypten, Äthiopien, Niger und Südafrika.
Kein Wunder also, dass sich Kohlgemüse auf Speisezetteln in aller Welt wiederfindet. Kohl und Lamm sind die Hauptbestandteile des norwegischen Beinahe-Nationalgerichts Fårikål, auch "Lamm in Kohl" genannt. Kohl findet sich auch traditionell in Polens Küche, vor allem im Nationalgericht Bigos, einem Sauer- und Weißkrauteintopf.
Selbst in Brasiliens Nationalgericht Feijoada, das ursprünglich afrikanischer Herkunft sein soll, findet sich – je nach Rezept – neben Bohnen und Schweinefleisch auch Kohl.
In allen osteuropäischen Ländern gehört der Kohlkopf traditionell auf den Speisezettel. In Russland ist er unverzichtbar für Schtschi, die russische Kohlsuppe, und Kohlrouladen. Die Ukrainer nehmen ihn gerne als Zutat für den Borschtsch.
In der Türkei gibt es Hunderte Rezepte mit Kohl – vom Weißkrautauflauf über gebratenen Blumenkohl bis zu Kohlrouladen. Und die Portugiesen teilen die Vorliebe der Norddeutschen für Grünkohl: Sie verwenden ihn beispielsweise für die Cremesuppe "Caldo verde", eines ihrer Nationalgerichte.
Auch in Asien gehört der Kohl zu den beliebtesten Gemüsen und wird in vielen Ländern wie China, Japan und Korea in Massen angebaut. Die Chinesen verwenden seit Jahrtausenden Chinakohl in ihrer Küche. In Korea ist Kohlgemüse in Form von Pak Choi oder Chinakohl unentbehrlicher Bestandteil des Nationalgerichts Kimchi. In Japan, wo traditionell viel Gemüse gegessen wird, heißt es Japankohl.
Ein sehr bekanntes Gericht aus Indien ist Pekora, frittiertes Gemüse, für das oft Blumenkohl verwendet wird. Auch ins indische Sambhara, ein vegetarisches Gericht, kommt neben anderen Gemüsesorten Kohl. Und die Amerikaner, die den Deutschen den Namen "Krauts" verpassten? Die lieben unter anderem ihren Cole Slaw, einen Weißkrautsalat mit etwas Möhre und sehr viel Mayonnaise.
Kimchi – das Nationalgericht Koreas
(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 27.10.2020)
Quelle: SWR