Zögerliche Annäherung
Johann Wolfgang von Goethe lernt Friedrich Schiller im September 1788 in Rudolstadt kennen. Goethe ist 39 Jahre alt, Schiller 28. Als jungem Dichter des Dramas "Die Räuber" eilt Schiller sein Ruhm bereits voraus.
Goethe steht noch ganz unter dem Einfluss seiner soeben abgeschlossenen Italienreise und weiß mit dem leidenschaftlichen Schiller wenig anzufangen. "Schiller war mir verhasst", bekundet Goethe ebenso anmaßend wie ungerecht in einem ersten Urteil über den Dichterkollegen.
Dabei spürt Goethe, der stürmisch gefeierte und ehrfurchtsvoll respektierte Großmeister deutscher Literatur, sehr wohl die Kongenialität des jungen Schiller – und es fällt ihm daher schwer, ihn zu akzeptieren. Zu sehr erinnert ihn der Autor der leidenschaftlichen "Räuber" an ihn selbst, an die eigene, längst überwundene "Sturm und Drang"-Zeit.
Gegenseitige Inspiration
Es verstreichen sechs Jahre, bis sich die beiden Dichter im Sommer 1794 wiedersehen. Schiller führt mit Goethe ein Gespräch und durch einen anschließenden Brief Schillers an Goethe beginnt eine zehnjährige Dichterfreundschaft – bis zu Schillers Tod.
Ein reger Briefwechsel entspannt sich zwischen den beiden Poeten, der auch heute noch zu den berühmtesten Zeugnissen deutscher Sprache gehört. Schiller, für den Goethe das größte literarische Genie seiner Epoche ist, macht aus seiner Bewunderung keinen Hehl: "In Ihrer richtigen Intuition liegt alles und weit vollständiger, was die Analysis mühsam sucht, und nur weil es als ein Ganzes in Ihnen liegt, ist Ihnen Ihr eigener Reichtum verborgen."
Goethe fühlt sich zunehmend von Schiller verstanden. Er begreift, dass Schiller der womöglich einzige Dichter ist, der Goethes eigene Auffassung von Kunst und Literatur begreift.
Er antwortet Schiller: "Ich darf nunmehr Anspruch machen, durch Sie selbst mit dem Gang Ihres Geistes, besonders in den letzten Jahren, bekannt zu werden. Haben wir uns wechselseitig die Punkte klar gemacht, wohin wir gegenwärtig gelangt sind, so werden wir desto ununterbrochener gemeinschaftlich arbeiten können."
Gemeinsame Projekte
Durch die Freundschaft zu Goethe inspiriert, kehrt Schiller nach sieben Jahren, in denen er sich mit philosophischen, und historischen Arbeiten befasst hat, zur Dichtung und zur literaturästhetischen Arbeit zurück. Mit Goethe zusammen veröffentlicht er die Literaturzeitschrift "Die Horen".
Im Jahr 1797 verfassen die beiden Poeten für den von Schiller herausgegebenen Musenalmanach die "Xenien" ("Gastgeschenke"), ironisch-bissige Verspaare, in denen die Dichter ihre literarischen Gegner aufs Korn nehmen und das dichterische Schaffen ihrer Zeit kritisch begutachten.
Bis heute ist die Autorschaft der beiden Dichter an ihren gemeinsamen Versen nicht zweifelsfrei belegbar, wie Goethe seinerzeit schon bemerkte: "Wir haben viele Distichen gemeinsam gemacht, oft hatte ich den Gedanken und Schiller machte die Verse, oft war das Umgekehrte der Fall, und oft machte Schiller den einen Vers und ich den anderen. Wie kann nun da von Mein und Dein die Rede sein!"
Balladenzyklus
Bei Schiller begann sich im Oktober 1796 das Projekt "Wallenstein" abzuzeichnen, ein Werk, das er erst im Jahr 1799 beenden würde. Schiller tat sich anfangs mit der Stofffülle und der ihm spröde erscheinenden historischen Vorlage sehr schwer.
Gemeinsam und im Wettstreit mit Goethe überbrückte er Schaffenspausen mit einer Reihe berühmter Balladen, die 1797 vollendet wurden, darunter "Der Ring des Polykrates", "Der Taucher", "Der Handschuh" und "Die Kraniche des Ibykus".
1805 starb Schiller im Alter von 45 Jahren an einer Lungenentzündung. Goethe war schockiert von dem Tod seines jüngeren Kollegen. In einem Brief an seinen Freund Carl Friedrich Zelter empfand er den Verlust von Schiller, als hätte er "die Hälfte seines Daseins verloren".
(Erstveröffentlichung: 2005. Letzte Aktualisierung: 08.06.2020)