Kindheit im Zweiten Weltkrieg Planet Wissen 23.04.2024 04:59 Min. UT Verfügbar bis 07.06.2028 WDR

Nationalsozialismus

Kindheit im Zweiten Weltkrieg

Sie erlebten die Schrecken des Krieges schon ganz jung: Für Millionen von Kindern im Zweiten Weltkrieg gehörten Luftangriffe, Todesangst, Hunger und Kälte zum Alltag.

Von Claudia Heidenfelder

Was als Spiel begann…

Der Zweite Weltkrieg dehnte sich nach dem deutschen Angriff auf Polen 1939 schnell auf ganz Europa aus. Menschen in England, Frankreich und Polen, in der Ukraine oder in Weißrussland hatten sehr bald unter den Folgen von Krieg und Naziterror zu leiden.

Für viele deutsche Kinder erschien der Krieg zunächst noch als ein abenteuerliches Spiel. Der Vater in Uniform war der Größte und wurde entsprechend bewundert. Kinder spielten mit Kanonen und bewaffneten Soldaten, stimmten Kriegslieder an und waren stolz auf ihre Sammelbilder ranghoher Militärs.

Tapfere Soldaten als Vorbilder | Bildquelle: dpa, dpa Picture-Alliance

Die Nationalsozialisten unterstützten diese Entwicklung: In der Hitlerjugend wurden tapfere Soldaten als Vorbilder gefeiert, Heldenmut und Kampfgeist gefördert.

Aber auch die Kirche tat das ihre. Dort hieß es: Beten für Führer, Volk und Vaterland. Kinder waren einer solchen Erziehung und Propaganda ausgeliefert. Woher sollten sie auch wissen, was Krieg bedeutet?

Bombennächte im Luftschutzkeller

Selbst den ersten Bombenalarm empfanden viele Kinder noch als Abenteuer. Doch mit den häufiger und heftiger werdenden Luftangriffen wuchs die Todesangst.

Brennende Häuser, von Bomben zerstörte Gebäude, unzählige Tote und Verwundete – all das mussten auch Kinder mit ansehen und verkraften.

Viele verbrachten über mehrere Jahre hinweg ihre Nächte im Luftschutzkeller. Hunderttausende von ihnen wurden ausgebombt, verloren bei den Angriffen all ihr Hab und Gut, ihr Zuhause oder sogar ihre Eltern.

Die Luftangriffe verursachten Todesangst | Bildquelle: picture alliance / akg-images

Der Krieg war nun auch für die Kinder zum Kampf um das blanke Überleben geworden. Doch weil sie nichts anderes kannten, wurden selbst die schrecklichsten Dinge zur Normalität.

Und während die einen mit all diesen Erlebnissen erstaunlich gut fertig wurden, trugen die anderen noch Jahrzehnte später an der Grausamkeit ihres Schicksals.

"Kinderlandverschickung"

Auf den Angriffskrieg der Deutschen reagierten die Kriegsgegner mit dem Bombardement deutscher Städte. Als der Bombenhagel heftiger wurde, startete das NS-Regime 1940 die Aktion "Erweiterte Kinderlandverschickung".

Bis Kriegsende wurden rund 2,5 Millionen Jungen und Mädchen in ländliche Gebiete geschickt, um sie aus den bombardierten Städten in Sicherheit zu bringen.

Gleichzeitig nutzten die Nationalsozialisten die Notlage, um ideologisch auf die Kinder einzuwirken. Denn oft waren die Kinder über Monate oder sogar über Jahre in Schullandheimen, Zeltlagern, Pensionen oder Jugendherbergen untergebracht und so dem Einfluss ihres Elternhauses entzogen.

Viele litten an Heimweh. Wie es den Kindern weit weg von zu Hause erging, hing aber maßgeblich von den Personen ab, die sie betreuten. Für einige Kinder waren die Trennung von den Eltern, die Angst um die Angehörigen und die NS-Propaganda so schwer zu ertragen, dass auch von der "Kinderlandverschleppung" die Rede war.

Hitler wollte die Jugend nach seinen Idealen formen | Bildquelle: picture alliance / dpa

Auf der Flucht

Wie viele Menschen aus den Ostgebieten vor der sowjetischen Besatzung flohen, ist ungewiss. Schätzungen sprechen von der Hälfte der dort lebenden Bevölkerung. Als sicher gilt jedoch, dass die meisten von ihnen Frauen und Kinder waren.

Den Abschied von der Heimat empfanden viele Kinder dabei nicht so schmerzlich wie die Erwachsenen.

Zunächst rechneten zudem fast alle damit, bald zurückzukehren. Und schließlich konnte kaum einer ahnen, was ihnen bevorstand: die Angst vor der näher rückenden Roten Armee, die Sorge um ihre Angehörigen, Tieffliegerangriffe, Hunger und Kälte, Krankheit und Tod.

Kinder verloren auf den Flüchtlingstrecks ihre Eltern oder mussten miterleben, wie Mutter oder Schwester vergewaltigt wurden.

Kaum einer konnte ahnen, was bevorstand | Bildquelle: picture-alliance / akg-images

Kriegsende und Nachkriegszeit

Nach dem Krieg waren Not und Elend für viele Flüchtlingskinder nicht zu Ende. In ihrer neuen Umgebung waren sie meist nicht willkommen. Sie sprachen einen anderen Dialekt und wurden gehänselt.

Der Verlust der Heimat war ein schlimmes Schicksal, ein schlimmeres war der Verlust der Eltern: Schätzungsweise 500.000 Kriegswaisen gab es nach dem Ende des Krieges und etwa 20 Millionen Halbwaisen. Die meisten von ihnen waren ohne Vater.

Für alle folgten nach der Kapitulation noch viele harte Jahre, die von Chaos und Mangel bestimmt waren.

Wenn die Erinnerung zurückkehrt

Über ihre persönlichen Erlebnisse schwiegen die Kriegskinder oft jahrzehntelang. Nach dem Krieg wirkten sie am Wiederaufbau mit, traten ins Berufsleben ein, heirateten, gründeten eine Familie, bauten vielleicht ein Haus.

Heute sind die meisten von ihnen in Rente. Die Kinder sind aus dem Haus, Ruhe ist eingekehrt. Und plötzlich kehren die Erinnerungen an den Krieg zurück: die Bombennächte, die Zerstörung, die Erlebnisse von Flucht und Vertreibung.

Etwa 500.000 Kriegswaisen gab es am Ende des Krieges | Bildquelle: akg

Manche von ihnen reagieren erst jetzt – mehr als 75 Jahre nach Kriegsende – bedrückt oder leiden an Depressionen. Andere wiederum erinnern sich sogar gerne an ihre Kindheit im Krieg: Wer kaum Hunger leiden musste, ein Dach über dem Kopf hatte und geborgen war, hatte Glück und kam manchmal ohne seelische Schäden davon.

Wie unterschiedlich das Schicksal der Kriegskinder auch verlief, eines haben sie alle gemeinsam: Der Krieg hat sie geprägt.