Verschwörungstheorien haben Konjunktur
Die Weltsicht von Extremisten, gleich welcher Art, ähnelt sich oft. Sie sehen sich als Opfer von Verschwörungen, und in ihren Verschwörungstheorien kommt es mitunter zu auffallenden Übereinstimmungen: Die US-Regierung, die Juden und Medien, die von mindestens einer dieser Gruppen beherrscht werden, tauchen in der Vorstellungswelt mancher Links- und Rechtsextremer sowie Islamisten als Verschwörer auf, die es zu bekämpfen gilt.
Kritische Berichterstattung über Salafisten? Liegt daran, dass die Medien "von den Zionisten" gesteuert seien, sagt der Fanatiker Ibrahim Abou-Nagie, Initiator der inzwischen verbotenen Salafisten-Organisation "Die wahre Religion".
Juden? Sind für 34 Prozent der befragten Linksextremen "geld- und raffgierig", so das Ergebnis einer Studie der Freien Universität Berlin von 2016.
Deutschland? "Ebenso wie die übrige EU fremdbestimmtes Terrain", meint der ehemalige NPD-Europaparlamentarier Udo Voigt, der die USA für eine "internationale Völkermordzentrale" hält und "Lügenmedien" bei der "Hetze gegen Russland und die syrische Regierung" am Werk sieht.
Mangelndes Selbstwertgefühl
Weitere Anhaltspunkte dafür, wie es im Kopf von Extremisten zugeht, liefert die Wissenschaft. Um das Selbstwertgefühl des Extremisten scheint es nicht gut bestellt zu sein – darauf weisen Sozialpsychologen auffallend oft hin, wenngleich ihnen schlagende Beweise noch fehlen.
Bei manchen jugendlichen Rechtsextremen sei das Verhältnis zu den Eltern gestört, und die rechte Clique diene als Familienersatz: Diese These erwähnt 2004 der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick im Aufsatz "Psychologie des Rechtsextremismus". Unklar bleibt dabei aber, ob die gestörte Beziehung zu den Eltern Voraussetzung oder erst Folge der rechtsextremen Einstellung ist.
Polizeiakten und Gerichtsurteilen von straffälligen rechtsextremen Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus den 1990er Jahren entnimmt der Forscher, dass Hass, Wut und der Wunsch, ihre Stärke und körperliche Überlegenheit zu demonstrieren, sie zu ihren Taten bewegten.
Gesellschaftliche Ablehnung
In den USA und Westeuropa sollen muslimische Einwanderer besonders dann zu religiös-extremistischen Ansichten und Verhaltensweisen neigen, wenn sie sich nirgends richtig zugehörig fühlen, also der weder der Kultur, aus der sie oder ihre Vorfahren stammen, noch der vorherrschenden Kultur des Landes, in dem sie leben. Zu diesem Ergebnis gelangen die Sozialpsychologen Sarah Lyons-Padilla, Michele J. Gelfand, Hedieh Mirahmadi, Mehreen Farooq und Marieke van Egmond in einer 2015 erstellten Untersuchung.
Die Forschergruppe verweist auch auf Erkenntnisse anderer Wissenschaftler. Denen zufolge seien viele Anhänger gewalttätiger extremistischer Bewegungen getrieben von der Suche nach Sinn für ihr Leben und nach Ausgleich für fehlenden Selbstwert.
Ursache für den fehlenden Selbstwert dieser Menschen sei ein Bedeutungsverlust, den die Extremisten erlitten hätten durch Scham, Erniedrigung und das Gefühl, von der Gesellschaft ungerecht behandelt zu werden.
Viele Anhänger extremistischer Bewegungen suchen nach einem Ausgleich für fehlenden Selbstwert
Extremistische Ideologen würden solchen Menschen besonderes Verständnis für ihre empfundene Demütigung entgegenbringen und böten ihnen besonders einfache Gelegenheiten, ihren Selbstwert zu steigern und Anerkennung zu finden.
Dass fehlende Anerkennung der Schlüssel für extremistische Einstellungen sein könnte, dafür mögen endgültige Beweise fehlen. Und fehlendes Selbstwertgefühl allein dürfte wohl kaum als Erklärung ausreichen, warum jemand Extremist ist.
Doch es gibt Beispiele von Extremisten, die ihre Einstellungen später geändert und sich entradikalisiert haben. Dabei haben oft Menschen eine Rolle gespielt, die ihnen zwar deutlich machten, dass sie ihre extremistischen Ansichten ablehnten, sich aber dennoch friedlich mit ihnen an einen Tisch setzten.
Quelle: SWR | Stand: 17.04.2020, 10:40 Uhr